Ein Haufen Bäume

von Redaktion

PETER T. SCHMIDT

Der Teufel, so pflegte meine Großmutter selig zu sagen, scheißt immer auf den größten Haufen. Will heißen: Wer hat, bekommt immer noch mehr (on top, wie es auf Neudeutsch heißt), während die Habenichtse leer ausgehen und schmerzlich erfahren müssen, dass selbst aus einem Nichts ein Weniger werden kann. In der Finanzwelt ist das Prinzip allgegenwärtig. In München gilt es nun offenbar auch für die Stadtbäume. Ich war schwer beeindruckt, als ich gestern in dieser Zeitung von der Baum-Offensive der Stadt gelesen habe: 220 000 Neupflanzungen seit 2021 – Donnerwetter! Es gibt da nur einen Schönheitsfehler: Die meisten dieser Bäume wurden in Wäldern gepflanzt. Also dort, wo schon welche stehen.

Gleichzeitig werden in der Stadt, wo die Menschen zunehmend nach frischem Grün lechzen, immer wieder ganz legal Bäume gefällt, wie gerade erst in Trudering. Während die Bäume, die man landläufig fest in Münchens Boden verwurzelt wähnt, auf diese Weise aus der Innenstadt abwandern, zieht es Wildtiere zunehmend hierhin: Fuchs und Kaninchen, Wildbienen und Biber, Steinmarder, Specht und Wanderfalke entdecken die Vorzüge des urbanen Lebensraums. Ein Paradoxon, das wohl fortdauern wird, und schuld daran ist die Evolution. Sie war es schließlich, die unsere Ur-Ur-Urahnen von den Bäumen steigen ließ und uns zu Baumeistern gemacht hat. Anders als Specht und Eichhörnchen, die sich bis heute im Baumhaus wohlfühlen, verlangt es den Homo sapiens, seines Fells beraubt, nach einer besser klimatisierten Behausung. Und wo er die hinstellt, wächst kein Gras mehr und schon gar kein Baum.

Jede Axt, die dabei an einen Baum gelegt wird, ist auch eine Spaltaxt für den gesellschaftlichen Konsens. Wer wohnt, verteidigt vehement die Bäume, die es rundum noch gibt. Ein Luxus, den sich der Wohnungssuchende nicht leisten kann. Die Politik steckt irgendwo zwischendrin im Gestrüpp der Sachzwänge und kämpft gleichzeitig mit Aufforstung gegen den Klimawandel und mit Bauen gegen die horrenden Mieten. Die Quadratur des Kreises, aber rund läuft da schon lange nichts mehr.

Die Sehnsucht nach Erfolgen oder zumindest Meldungen, die man als solche ausgeben kann, ist verständlich. Aber sich nun als Klimaretter zu preisen für etwas, was Förster seit jeher tun, nämlich Pflege und Erhalt bestehender Wälder, ist ein wenig dick aufgetragen. Umso mehr, wenn man auf die möglichen Folgen blickt: Am Ende sehen wir den Truderinger Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Großmutter lässt grüßen.

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