Einmal durch die Bahnsteighalle, an der Bayerstraße die Treppen runter, dann rein ins Sperrengeschoss: Es ist die erste Runde durch den Hauptbahnhof, die Anni Hüchting, Alexander Frank und Pekcan Cengiz am diesem Freitagabend drehen. Die Schicht der drei Bundespolizisten hat gerade begonnen, vor ihnen liegen lange zwölf Stunden Arbeit. Ein ruhiger Start ist ihnen trotzdem nicht vergönnt: Die drei sind gerade auf Höhe des MVG-Kundencenters, als per Funk die Nachricht kommt: „Schlägerei in der Halle vom Flügelbahnhof“. Die Polizisten setzen sofort zum Sprint an: Am Ende ihres Laufs durch das gesamte Untergeschoss kommen sie letztlich dort an, wo keiner hinwill: am Rand der Gesellschaft.
Die große Säulenhalle steht leer, erst vor einer Woche ist die Caritas mit ihrem Infopoint für Flüchtlinge abgezogen. Eingezogen sind jetzt Obdachlose. Es wird getrunken. Viel getrunken. Gegen 19.40 Uhr eskaliert die Situation: Zwei Männer greifen andere an. „Die haben uns beklaut, die haben uns geschlagen“, ruft eines der Opfer aufgeregt, als die Streife der Bundespolizei eintrifft. Zwei seiner Spezln haben Verletzungen im Gesicht. Die Männer werden zur Vernehmung mit auf die Wache genommen. „Soweit ein ganz normaler Abend“, sagt der 33-jährige Pekcan Cengiz.
Er bleibt zum einen seelenruhig und greift zum anderen durch, als es in der Wache turbulenter wird. Die sturzbetrunkenen Obdachlosen sind laut, springen immer wieder auf und machen sich aus dem Vergleich ihrer Atemalkoholwerte einen Spaß: 3,31 Promille, 3,26 Promille… Entsprechend riecht es in der engen Wache.
Zu finden ist die Bundespolizei an Gleis 26, nahe dem Ausgang zur Arnulfstraße, im seitlichen Gebäude. Das Besondere: Die Wache ist entsprechend lang, die einzelnen Räume aber nur wenige Meter breit. Alles ist, wie halt auch der gesamte Hauptbahnhof, in die Jahre gekommen. Es gibt Vernehmungszimmer, zwei Zellen und einen zentralen Bereich samt Schleuse. Mindestens 15 Kollegen sind immer eingeteilt. Gewechselt wird um 7 und 19 Uhr. Keine Schicht wie die andere: „Du weißt nie, was dich erwartet“, sagt Alexander Frank.
Der 29-Jährige pendelt von Nürnberg zur Arbeit und ist einer der wenigen Familienväter in der Dienststelle. Die Kollegen sind durchweg jung. Sie arbeiten auf einer Wache, deren Einsatzbereich es in sich hat: Zu den vielen Reisenden kommen Flüchtlinge, mitunter bierselige Fußballfans oder Oktoberfestbesucher. Hier trifft man auf Bettler und dubiose Gestalten. An diesem Freitagabend sind es aber vor allem Obdachlose und Volltrunkene, die das Geschehen bestimmen. Wie der Ukrainer mit 2,33 Promille, der gleich um 19 Uhr randaliert. Nackt. Oder der Pole mit 3,5 Promille, der von einem Mann ins Gesicht geschlagen wurde. Jetzt sitzt er in der Wache und weint hemmungslos vor sich hin.
Bilder, die Alexander Frank jeden Tag sieht. Und mit denen er umgehen muss. Ihm ist es wichtig, seine Arbeit gut zu machen und den Menschen zu helfen. Die Herausforderung sei, die Schicksale nicht zu sehr an sich heranzulassen und trotzdem nicht abzustumpfen. Das raue Umfeld, der tägliche Trubel: Das alles gefällt dem Bundespolizisten. Er verrät, dass er ursprünglich einen Laborberuf gelernt hat. Und es ihm dort einfach zu fad war.
Langeweile ist auf der Wache am Hauptbahnhof nicht möglich. Ständig passiert etwas, kommen und gehen Kollegen. Es dauert an diesem Abend auch nicht lange, bis die gesuchten Schläger vom Flügelbahnhof dort einmarschieren. Sie wurden nach ihrem Angriff von einer Streife entdeckt, als sie seelenruhig in einem Lokal saßen. Bei sich hatten sie eine große Plastiktüte voller Alkohol. Beide werden die Nacht an der Ettstraße verbringen, in der Präsidiumshaftanstalt der Landespolizei, wo sie auch vor den Ermittlungsrichter kommen.
Alexander Frank und seine Kollegen starten gegen Mitternacht erneut zu einer Kontrollrunde. Wieder gibt es einen Funkspruch, wieder laufen die drei Kollegen los. Die Nacht dauert noch lang.