Umziehen muss olympisch werden

von Redaktion

GÜNTER KLEIN

Gerade komme ich aus einer Urlaubswoche und würde zu gerne erzählen vom letzten pulvrigen Schnee auf Alpenpisten oder von der Wärme etwas weiter südlich. Es könnte mir auch gefallen, die Geschehnisse der vergangenen Tage anzuschneiden, über die diskutiert wurde, denn Zeit zum Lesen und zum Verfolgen der Nachrichten muss ich schließlich gehabt haben. Meine Urlaubsrealität indes war: Nichts habe ich mitbekommen von der Welt, gelebt habe ich nämlich in meiner eigenen, und die war sehr limitiert und wenig erholsam: Ich bin nämlich umgezogen.

Das ist nun im Grunde nichts Besonderes und Berichtenswertes, denn das haben vermutlich Sie alle, die Sie diese Zeilen gerade lesen, schon ein- oder mehrmals mitgemacht. Und als höllischen Ausnahmezustand empfunden, an den Sie bitte nicht erinnert werden wollen – das übernimmt die Bandscheibe seit dem 50. Karton bei jeder Bück- und Hebebewegung. Doch vielleicht kann ich Ihnen den Umzug über eine neue Seite näherbringen: Sehen Sie ihn als Trendsport.

Auch wenn in den vergangenen Tagen sogar das Sportgeschehen an mir vorbeigezogen ist (es waren wirklich Fußball-Länderspiele?), bin ich Sportreporter und denke in bestimmten Kategorien. Ich habe mich in meinem Berufsleben mit fast allen Sportarten befasst und von jeder gehört, dass sie die komplexeste ist, die über allen anderen steht – „weswegen Doping bei uns auch gar keinen Sinn ergeben würde“ (tausend Mal vernommen, den Satz). Man ist der bestkonditionierte Sport, der härteste, der waghalsigste, der schnellste, der, in dem die meisten Entscheidungen getroffen werden müssen, der mit dem höchsten Trainingspensum, mit dem intensivsten Wettkampfkalender, der mental forderndste, der, in dem man sich keinen Fehler erlauben darf und so weiter und so fort.

Umziehen – und hiermit sei der internationale Name der neuen Sportart angemeldet: Moving – ist mehr als Zehnkampf: ausräumen, sortieren, Kartons falten, einräumen, Kartons beschriften, runtertragen, einladen, transportieren, hochbringen, ausladen, einräumen, Kartons entsorgen. Moving hat die Spezialdisziplin Möbel auseinander- und wieder zusammenschrauben (Furnituring) und Ikea-Küche einbauen (Kitchening). Ziehen auch Katzen mit um, ist Moving zugleich Dressursport. Zum Ausüben des Moving benötigt man Schnellkraft, Kraftausdauer, Koordination, Geschicklichkeit (Bilder aufhängen), gute Nerven, Schmerztoleranz (wenn man sich mit den dornigen Rosen aus dem Balkonblumenkasten das Gesicht aufkratzt), man sollte seine Emotionen im Griff haben (wenn die Telekom bei der Neueinrichtung des Internets kein Signal findet), über Elektrikertalent verfügen (Lampen anschließen) und auch ein Installateurs-Gen in sich tragen. Man muss also gut mit den Händen sein, doch ebenso fit im Kopf, um in der neuen Wohnung gleich alles korrekt zu platzieren. Umziehen ist wie Schach mit schweren Gewichten.

Es müssen nationale Verbände gegründet werden (Deutscher Umzugs-Verband, DUZ), weltweit regiert die FIMA (Federation International of Moving Associations). Moving bietet eine breite Wettkampfpalette, denn es geht auch über verschiedene Distanzen – vom Sprint (Umzug innerhalb einer Stadt und mit Aufzügen) bis zum Ultra (etwa München – Berlin). Es zählt die Zeit, die bewältigte Masse an Umzugsgegenständen, und es gibt eine B-Note (Abzüge für das Verschrammen eines Treppenhauses). Umgezogen wird überall, Moving ist ein wahrer Weltsport, er muss ins olympische Programm.

Und ich muss diese Woche noch einen Antikschrank, schwer wie eine Waffenkammer, zwei Meter verrücken, ohne das Parkett zu zerkratzen. Das ist das große Umzugsfinale. Danach erkennt man mich an der gebückten Haltung.

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