Am Samstag haben 1050 Menschen ein großes Atom-Ausstiegsfest auf dem Odeonsplatz gefeiert. Siegfried Benker (66) ist Gründungsmitglied der Grünen in München – und Kämpfer der ersten Stunde gegen die Atomkraft. Er war von 1993 bis 2013 Mitglied des Stadtrats. Seit 2014 ist er Geschäftsführer der Münchenstift GmbH. Wir haben mit ihm gesprochen, wie er das Atom-Aus nach vielen Jahren erlebt.
Herr Benker, haben Sie am Samstag auch gefeiert?
Ich war am Wochenende nicht in München und daher nicht am Odeonsplatz. Aber ich habe mir natürlich nach den langen Jahren des Widerstands und dem herausragenden Erfolg der Anti-Atom-Bewegung ein Glas Sekt gegönnt.
Sie sind ein Mann der ersten Stunde im Atomkraft-Widerstand. Haben Sie über die Jahre hinweg wirklich daran geglaubt, dass dieser Tag kommen wird?
Ich war schon in den 70er-Jahren bei den Protesten gegen den Schnellen Brüter in Kalkar dabei. Und ich war im Münchner Anti-Atom-Büro Wackersdorf aktiv. Als es uns 1989 gelungen ist, die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf zu kippen – ab dem Augenblick war ich überzeugt, dass die Atom-Lobby niedergerungen werden kann.
Der Kampf gegen die WAA in Wackersdorf war ein Symbol des Widerstands gegen die Ära Franz Josef Strauß. Wie sehr hat der WAA-Protest die Gesellschaft geprägt?
Alle, die jemals in Wackersdorf waren, haben ihre eigene Wackersdorf-Geschichte. Dort hat sich der Atomstaat gezeigt. Der Widerstand gegen das Projekt sollte mit brachialer Polizeigewalt gebrochen werden. Was nicht gelang. Das war für alle ein äußerst prägendes Erlebnis.
Sie haben damals bei den Demos auch Prügel von der Polizei bezogen. Aus Sicht der CSU waren Sie ein Chaot. Waren Sie einer?
Ich war kein Chaot, sondern jemand, der sein Demonstrationsrecht ausgeübt hat. Dieses Recht sollte uns genommen werden. Ich war aber jemand, der trotz aller Widerstände immer wieder nach Wackersdorf gekommen ist. Auch wenn das Franz Josef Strauß nicht gefallen hat.
Wurden Sie bei den Protesten jemals festgenommen oder verurteilt?
Ich wurde mehrmals vorübergehend festgenommen, aber nie verurteilt. Es war Polizeitaktik, Demonstranten massenhaft einzuschüchtern. Zum Beispiel wurden Leute, die sich in einem Lokal trafen, vorübergehend festgenommen – weil sie angeblich Straftaten planten. Die CSU versuchte, die Demonstranten zu kriminalisieren.
So viele Menschen wie damals in Wackersdorf sind seither in Bayern nie mehr bei einer einzelnen Demo zusammengekommen. Wie kam diese gewaltige Mobilisierung zustande?
Zum einen war Wackersdorf das Sinnbild des Plutoniumkreislaufs. Sinnbild für eine Politik, die auf eine reine Stromversorgung mit Atomkraft abgestellt war. Außerdem ereignete sich 1986 die Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl. Jeder konnte sehen, was bei einem GAU passiert.
Der Protest war schlussendlich erfolgreich.
Weil es gelungen ist, ihn über Jahre aufrechtzuerhalten. Und weil auch die Bevölkerung vor Ort mitmachte. Zudem kam es im Laufe der Jahre vonseiten der Industrie zu einem Abrücken vom Plutoniumkreislauf.
Heutzutage befürwortet aber laut Umfragen plötzlich wieder eine Mehrheit der Deutschen die Kernkraft. Wie kommt das?
Es ist ein Denken aus dem Notstand heraus. Atomkraft ist aber keine Zukunftslösung. Sie hemmt die Energiewende und ist unsicher. Das weiß jeder nach Tschernobyl und Fukushima. Wer von sauberer Energie spricht, übersieht auch den Atommüll. Außerdem ist der Abbau von Uran eines der unmenschlichsten Geschäfte.
Ist angesichts der Energiekrise ein Verzicht auf die Atomkraft nicht naiv?
Nein, das Festhalten an der Kernkraft wäre naiv und rückwärtsgewandt. Atomstrom ist nur deshalb so günstig, weil es ein hoch subventionierter Industriezweig war. Zudem sieht man gerade in der Ukraine, wie gefährlich es ist, wenn ein Atomkraftwerk in einem Kriegsgebiet liegt.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder möchte bei einem Wahlsieg der Union 2025 sechs Meiler wieder ans Netz nehmen. Franz Josef Strauß würde seinen späten Nachfolger beglückwünschen.
Vielleicht, wobei Strauß mittlerweile womöglich erkannt hätte, dass diese Energieerzeugung keinen Sinn mehr macht. Die Aussage Söders ist ein Musterbeispiel für rückwärtsgewandte Energiepolitik. Die CSU gräbt Dinge von vorgestern aus. Glücklicherweise wird Bayern das nicht entscheiden.
Aber womöglich eine neue Unions-geführte Bundesregierung zusammen mit der FDP?
Offen gestanden glaube ich, dass die Industrie kein Interesse mehr haben wird, die alten Meiler wieder ans Netz zu nehmen.
Ist der Atomausstieg unumkehrbar?
Davon bin ich überzeugt. Und die Bundesregierung sollte alles dafür tun, dass es dabei bleibt.
Würden Sie im Fall der Fälle wieder auf die Straße gehen oder sind Sie schon zu alt dafür?
(hörbar empört) Dafür werde ich nie zu alt sein. Selbstverständlich würde ich wieder auf die Straße gehen, um diesen Unsinn zu verhindern.
Das Gespräch führte Klaus Vick.