Hunderte Menschen werden am 17. Mai von der Innenstadt aus in Richtung Landtag ziehen und für einen Aktionsplan demonstrieren. Er soll die Gleichstellung von Menschen aller sexuellen und geschlechtlichen Ausrichtungen (LGBTIQ*) zum Ziel haben und Diskriminierung bekämpfen. Damit startet die diesjährige Pride-Saison rund um den Christopher Street Day (CSD) am 24. Juni. Aktuell überschattet aber die Diskussion über eine Lesung die Vorbereitungen.
„Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt“ – so lautet der Titel einer „Drag-Lesung für Kinder“ in der Stadtbibliothek in Bogenhausen. Am 13. Juni tragen dort die Drag-Queen „Vicky Voyage“ und der Drag-King „Eric BigClit“ (englisch für „große Klitoris“) Geschichten für Kinder ab vier Jahren vor. Bei der Drag-Kunst handelt es sich um eine künstlerische Spielform des Geschlechterwechsels – wobei Geschlecht oft als dehnbarer Begriff angesehen wird. Es soll um Heldinnen und Helden gehen, Verkleidungen – weg von klassischen Geschlechter-Stereotypen. Die Drag-Künstler und die trans*-Jungautorin Julana Gleisenberg „nehmen euch mit in farbenfrohe Welten, die unabhängig vom Geschlecht zeigen, was das Leben für euch bereithält und dass wir alles tun können, wenn wir an unseren Träumen festhalten“, heißt es in der Ankündigung.
Daraufhin hagelte es Kritik an der Stadtbibliothek. CSU-Stadtrat Hans Theiss fragte in den sozialen Medien: „Sexualkunde durch Drag-Queens für 4-jährige Kinder – ist das wirklich Euer Ernst?“ Die CSU im Bezirksausschuss wird laut Mitglied Jens Luther einen Dringlichkeitsantrag in dieser Sache stellen. Die Stadtrats-AfD will ein Verbot erreichen. OB Dieter Reiter (SPD) sagte gegenüber der „Bild“, er würde mit seinen Enkeln nicht zu der Veranstaltung gehen. Svenja Jarchow (Grüne) kommentierte daraufhin in Richtung des OB: Vielfalt zu leben bedeute auch Rückgrat zu zeigen.
Vielfalt wird in München wohl nie sichtbarer gelebt als auf dem CSD. Reiter ist Schirmherr der Veranstaltung, läuft jedes Jahr in der ersten Reihe mit. „Wir waren über die Aussage irritiert und überrascht“, kommentiert Tobias Oliveira Weismantel vom CSD. Bevor er sich aber dazu äußere, ob Reiters Schirmherrschaft nun wackelt, suche er erst einmal das Gespräch mit dem Rathaus-Chef. Dem habe der SPD-Politiker bereits zugestimmt. Reiter stellte bereits klar, dass er die Kunstform Drag nicht an sich ablehne oder Menschen diskriminiere. Forderungen, die Lesung zu unterbinden, hält der Oberbürgermeister „für absolut überzogen“. Eltern könnten selbst entscheiden, ob sie mit ihren Kindern hingehen wollen oder eben nicht.
Klar ist laut Oliveira Weismantel bereits, dass die CSU auf dem diesjährigen CSD keinen Wagen erhalten wird. Bei der Parade ziehen Vereine, Parteien und Organisationen auf Lastwägen durch die Straßen der Innenstadt, die von tausenden feiernden Menschen gesäumt sind. „Wer polemisch arbeitet, der ist auf dem CSD nicht am richtigen Ort“, sagt Oliveira Weismantel unter anderem mit Blick auf die Äußerung von CSU-Stadtrat Hans Theiss. Auch Grünen-Stadtrat Joel Keilhauer empfahl den Christsozialen, den diesjährigen CSD zu meiden. Stattdessen solle sich die Partei „im stillen Kämmerlein schämen“.
CSU-Chef Manuel Pretzl geht dagegen weiter davon aus, dass die CSU Teil der Politparade sein werde. „Toleranz ist keine Einbahnstraße. Wer Vielfalt feiert, muss auch vielfältige Meinungen akzeptieren“, so Pretzl. Wenn Kritiker der Lesung beim CSD nicht willkommen seien, müsse konsequenterweise auch OB Reiter ausgeschlossen werden.
In den sozialen Medien meldete sich schließlich Drag-Künstler „Eric BigClit“ selbst zu Wort. „Wer denkt, dass ein Mensch, der auch Erwachsenen-Shows macht, dasselbe vor Kindern zeigt… hat echt Probleme.“ Und auch die Stadtbibliothek stellt klar, dass es sich um ein Angebot handelt, bei dem altersgerechte Bücher vorgelesen werden. Ein Travestie-Programm für Erwachsene vorzuführen, sei nie geplant gewesen.