München wird diesen Sommer von Konzerten überflutet. Königsplatz, Olympiastadion, Olympiahalle – oft tagelang quartieren sich Bands ein in der Stadt. Und Fanvolk strömt herbei. Für Anwohner der musikalischen Locations ein interessantes Spiel: die Konzert-Touristen den jeweiligen Künstlern zuzuordnen.
Vorletzte Woche durchquerte ich den Olympiapark, und am Einlass zur Halle sah ich Menschenmengen. Altersstruktur wie bei „Klassik am Odeonsplatz“, also die bejahrteren Semester, nur anders gekleidet: etwas Leder, alte Wacken-T-Shirts, die ausgewaschen sind und dennoch spannen – man konnte draufkommen: Die Scorpions gastierten hier. Vor dem Anhang der ersten Stunde, Generation Vinyl. Ich glaube, neue Fans werden schon länger nicht mehr gecast… gewonnen. Man lässt es gemeinsam ausklingen. Noch drei, vier Welttourneen, bis Klaus Meine über 80 ist – dann Abschiedsauftritt im ZDF-Fernsehgarten, letztes „Wind of Change“ und Ruhestand. Die Band und ihre jahrzehntelangen Begleiter.
Die gemütlichen Mittsiebziger Scorpions waren angenehme Gäste. Dann aber wurde es schlimm. Es rrrollte was herrran: Rrrammstein. Mit viermal 60 000 Jüngerinnen und Jüngern. Eine Mischung aus Armee und Sekte.
Die vier Auftritte waren schlau terminiert: Mittwochabend für die Münchner Stadt- und bayrische Landbevölkerung, weil die ja am Donnerstag (Feiertag Fronleichnam) ausschlafen konnte. Donnerstag – „Deutschland“-Tag, womit dann auch ein Titel der Gruppe genannt wäre. Samstags kamen die Österreicher und Italiener – also die, die man schon von den Andreas-Gabalier-Aufmärschen kennt. Am Sonntag war Resteschauen. Auf den ersten Blick etwas überraschend, dass am Brückentag Freitag kein Rrrammstein-Konzerrrt stattfand – aber irgendwann musste Till Lindemann ja auch mal mit seinen Medienanwälten sprechen, die ihn aus seinen Back- und Understage-Geschichten rauspauken sollen.
Rrrammstein-Eintrittskarrrten sind perrrsonalisiert, man muss beim Einlass also den Ausweis vorzeigen. Das ist eigentlich unnötig, denn es schleicht sich niemand ein, der nicht dazugehört. Und grundsätzlich sind Rrrammsteinianer uniformiert. Schwarzes Doc-Martens-Schuhwerk, kurze Hose zur Offenlegung der martialischen Waden- und Oberschenkeltattoos, Rammstein-Stadium-Tour-2019-Shirt, am Merchandising-Truck ist der Erwerb eines Rammstein-Stadium-Tour-2023-Shirts moralische Pflicht. Gern getragen werden auch Shirts, auf denen vorne „Manche führen“ und hinten „Manche folgen“ geschrieben ist – bevorzugt von Männern, die nicht den Anschein erwecken, Führungskräfte zu sein. Rammstein-Fans sind keine Einzelgänger, sie laufen immer mindestens in Stuben-Stärke (um im Bild der Armee zu bleiben). Synchron recken sie den Mittelfinger in Richtung der Demonstrierenden und rufen „Unschuldsverrrmutung“. Einige sind nicht nur die Uniformierten, sondern auch die Uninformierten. Geistige „row zero“.
Da hat der Olympiapark etliches durchmachen müssen in dieser noch jungen Konzertsaison, schließlich war der ver(w)irrte Roger Waters auch schon da. Aber jetzt, nach dem Abzug der Rammstein-Marschmusik-Truppen, wird’s gesitteter zugehen. Am Freitag beginnt das Tollwood – mit Darbietungen, bei denen nichts angezündet und niemand beleidigt werden muss, um vom dünnen Inhalt abzulenken. Am 23. Juni tritt Tom Jones auf, 83 ist er und hat den zauberhaften Appeal, den die ganze Rammstein-Band(e) nie haben wird, und am 2. Juli spielen Bonnie Tyler und Chris Norman. Stimmen aus der guten alten Zeit. Dort kommt garantiert niemand zu Hör- und sonstigem Schaden. Gehe hin. Habe es ja nicht weit.
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