Seit zehn Jahren auf Wohnungssuche

von Redaktion

VON KATRIN WOITSCH

Wenn Christian L. von seiner Zukunft träumt, hört er in Gedanken das Rattern einer Kaffeemaschine, die dringend wieder einmal entkalkt werden müsste. Oder er sieht sich selbst einen Nagel in eine Wand schlagen – um eines seiner Bilder aufzuhängen. Das sind bescheidene Träume. Doch seit zehn Jahren sind sie für L. vor allem eines: unerreichbar.

Der 54-Jährige hat 2014 nach seiner Scheidung seine Wohnung verloren. Ein paar Nächte konnte er bei Freunden bleiben – doch er fand keine Dauerlösung und landete auf der Straße. „Über Obdachlose wird oft so abwertend gesprochen“, sagt er. „Aber es kann so schnell gehen.“ Sein Leben löste sich immer mehr in Luft auf. L. hatte als selbstständiger Gastronom gearbeitet. Doch mit seinem festen Wohnsitz verlor er nach einigen Monaten auch sein Restaurant. Auf dem Wohnungsamt wurde ihm gesagt: „Es gibt Menschen, denen es noch viel schlechter geht.“ Alles andere als ein Trost für jemanden, der gerade seine gesamte Existenz verloren hatte.

Fünf Jahre lang lebte L. auf der Straße und lernte das Leben von seiner härtesten, aber oft auch absurdesten Seite kennen. Er versuchte einen Berechtigungsschein für die Ausgabe der Tafel zu bekommen. Aber ohne Kochmöglichkeit kein Berechtigungsschein. Er machte eine Umschulung zum psychologischen Berater. Eine Stelle bekam er nicht. Ohne Wohnsitz hatte er keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Er suchte Wohnungen, ging Online-Portale durch, schaltete Inserate – doch als Arbeits- und Wohnungsloser hatte er auf dem hart umkämpften Wohnungsmarkt keine Chance. Er schrieb Bürgermeister und Politiker an. Sie antworteten ihm, dass die Lage auf dem Münchner Wohnungsmarkt sehr angespannt sei.

Aktuell lebt L. von Bürgergeld. Das Jobcenter würde bis zu 1000 Euro Miete für ihn übernehmen. Der 54-Jährige träumt von einer 30-Quadratmeter-Wohnung. Ein Zimmer, das wäre für ihn das größte Glück. „Ich würde tagelang nicht mehr rausgehen, wenn ich wieder eine eigene Wohnung hätte“, sagt er. Und er würde diese Wohnung nie wieder hergeben.

Christian L. ist enttäuscht vom Staat. Mit seiner Wohnung hat er vor zehn Jahren auch ein Stück Würde verloren. Auf den Ämtern ist er nicht Christian L. – sondern Vorgangsnummer 10135924. „Aber ich habe auch Positives erfahren“, sagt er dankbar. Zum Beispiel bot ihm der Katholische Männerfürsorgeverein München an, ins Clearinghaus zu ziehen. Dort leben aktuell 67 Wohnungslose, 29 davon sind minderjährig, berichtet Vorstand Ludwig Mittermeier. Seit 2018 ist es dem Verein gelungen, 230 Personen Wohnungen zu vermitteln. „Immer mehr Menschen können sich von ihrem Gehalt keine Wohnung mehr in München leisten“, sagt Mittermeier. Aktuell seien in Bayern mehr als 20 000 Menschen akut wohnungslos. „Das Wohnungsproblem ist in der bürgerlichen Gesellschaft voll angekommen. Wir brauchen darauf eine politische Antwort.“

Das fordert auch der Caritas-Verband der Erzdiözese München und Freising. „Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist die soziale Frage der kommenden Jahrzehnte“, betont Direktor Hermann Sollfrank. Die Staatsregierung hatte einen sogenannten-Wohnbau-Booster angekündigt, zum Beispiel die Weiterentwicklung von Wohnraumförderprogrammen. „Viele dieser Ankündigungen sind leider in ernüchternder Tatenlosigkeit geendet.“

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