Wie viel ist unsere Arbeit wert? Der Staat hat dazu eine klare Meinung in Form einer Zahl: Mindestens zwölf Euro müssen Unternehmen ihren Mitarbeitern als Stundenlohn zahlen. Das gilt seit Oktober 2022. Zum 1. Januar steigt der Wert auf 12,41 Euro. Viel ist das nicht in München: Für zwölf Euro bekommt man keine MVV-Streifenkarte (16,30 Euro), keine Mass Bier auf der Wiesn (ab 12,60 Euro) und keinen Quadratmeter Mietwohnung (meist ab 14,58 Euro). Die SPD-Fraktion im Rathaus fordert deshalb: München braucht einen höheren Mindestlohn. Die Genossen und OB Dieter Reiter wollen 16 Euro pro Stunde in der Stadt etablieren, ein Konzept zur Umsetzung könnte der Stadtrat schon am 19. Juli verabschieden, sofern die Koalitionspartner von den Grünen schnell entschlossen zustimmen.
„Für uns ist das eine Frage des Respekts“, sagt Christian Köning, finanzpolitischer Sprecher der SPD/Volt-Fraktion. „Viele Münchner geben die Hälfte ihres Verdienstes fürs Wohnen aus, hinzu kommen hohe Nebenkosten und Inflation als Belastungen.“ Ein höherer Mindestlohn solle helfen, die Lebenshaltungskosten zu stemmen.
Zwar kann die Stadt kein eigenes Mindestlohngesetz machen. Die 16 Euro wären von Arbeitnehmern also nicht einklagbar. Der Plan soll aber in städtischen Betrieben umgesetzt werden und auch bei Auftragsvergaben der Stadt eine Rolle spielen. „Noch Ende dieses Jahres könnte die Stadt die ersten Vergaben in den Branchen Reinigung und Sicherheit ausschreiben, bei denen nach Mindestlohn entschieden wird“, kündigen Köning und seine Fraktionskollegin Simone Burger an, „diese Branchen sind von Niedriglöhnen betroffen.“
Insgesamt gibt es bei der Stadt 28 962 Angestellte, die fast alle über 16 Euro verdienen. Nur acht Reinigungskräfte liegen darunter, sie erhalten bald mehr. An externen Aufträgen laufen derzeit 153 Bewachungsverträge und 459 Reinigungsverträge, gemäß denen zwischen 13 und 14,49 Euro pro Stunde fließen. Alle werden, je nach Laufzeitende, erneuert, die Dienstleister werden ihren Angestellten mehr zahlen oder den Auftrag abgeben müssen.
Ergänzend soll es für alle Unternehmen, auf die die Stadt keinen Druck ausüben kann, ein freiwilliges Einkommensbündnis geben. Nach dem Vorbild des „London Living Wage“, bei dem Firmen freiwillig den städtischen Mindestlohn zahlen (London: 14 Euro), erhalten alle, die teilnehmen, Zertifikat und Siegel. „Um die Firmen zum Mitmachen zu bewegen, setzen wir auf den Fachkräftemangel und die gesellschaftliche Verantwortung“, sagt Burger.
Mit ihrem Vorschlag liegt die SPD auf der Linie der Gewerkschaft Verdi. „Wir plädieren schon lange für einen Ballungsraumzuschlag“, sagt Chef Heinrich Birner. Andere sehen die Idee skeptisch. Teilweise liegen die Gehälter in der Realität unter offiziellen Grenzen, weil es unbezahlte und nicht erfasste Überstunden gibt – dadurch sinkt de facto der Stundenlohn. Wie etwa in der Gastronomie, wo oftmals stillschweigend zehn statt acht Stunden am Tag die Regel sind. „Wichtiger als ein höherer Mindestlohn wäre eine flächendeckende Tarifbindung und eine exakte Arbeitszeiterfassung“, sagt Christin Schuldt von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Andernfalls würden aus 16 Euro pro Stunde schnell wieder nur zwölf.