Noch gar nicht lange her, vorletzte Woche war es, dass Stürme die öffentliche Verkehrsstruktur in Teilen Bayerns lahmlegten. Über die Schienen, auf denen Züge fahren sollten, hatten sich Bäume gelegt, oder es waren Oberleitungen kaputtgegangen. Ausgerechnet an jenem Tag sah sich der Autor dieser Kolumne vor die Aufgabe gestellt, vom Landkreis Augsburg, wo er sich eben mal aufgehalten hatte, an den Redaktionsarbeitsplatz nach München zu gelangen. Es fühlte sich apokalyptisch an, am Hauptbahnhof Augsburg zu stehen und sich mit anderen Gestrandeten um die Mitarbeiterin des Unternehmens „Go Ahead“ zu scharen, die erklärte: „Der Lokomotivführer ist da, der Zugbegleiter ist da – aber wir wissen nicht, wo unser Zug ist.“ Kann ja mal passieren, dass so ein blaues Teil von Siemens einfach so verschwindet. Vom nächtlichen Orkan verweht. Liegt wohl irgendwo zwischen Ulm und München, der nun gesperrten Strecke, in der Böschung.
Was aber nun tun, wenn auf dieser Hauptverkehrsader zwischen Augsburg und München nichts mehr geht? Der Schaffner der Bayerischen Regionalbahn wusste Rat: Er lud in seinen Zug ein, der ursprünglich nach Ingolstadt fahren sollte, wegen eines Baumes im Gleis aber Aichach als Endstation anfahren würde: Auf dem Weg dorthin läge Dasing – und von dort ginge ein MVV-Bus nach Pasing. Von Dasing nach Pasing, er musste selber lachen. Ach ja, Name der Münchner Buslinie: X732.
In der Not glaubt man das, greift nach diesem Strohhalm: ein Münchner Bus, der sich bis fast an Augsburg heranwagt. Doch wirklich: Er stand da in Dasing. In stolzer Doppelstöckigkeit, mit Sitzen wie ein Reisebus, aber mit Stempelautomat zur Fahrscheinentwertung. Er fuhr durch Wald- und Wiesenlandschaften und sogar ein Stück auf der Autobahn.
Dasing – Pasing, was für eine Linie! Wahrhafter Luxus, denn was verbindet diese beiden Punkte abgesehen von ihrer phonetischen Ähnlichkeit? Dasing hat einen Bauernmarkt (thront über der Autobahnausfahrt) und die Western-City mit Karl-May-Festspielen, Pasing hat die Einkaufs-Arkaden. Doch gibt es Dasinger, die sagen: Heute machen wir uns mal einen schönen Tag in Pasing? Oder umgekehrt Pasinger, die sich in einem Stündchen zum Bauernmarkt fahren lassen, um dort das Salat-Angebot zu checken? Gibt ja jetzt das Deutschlandticket, da kann man das machen.
Das Netz des Münchner Verkehrs-Verbunds ist riesig. Und seien wir ehrlich: Kein Münchner Kindl vermag es in seiner Komplexität zu erfassen. Wann fahren die N(acht)Linien, wer könnte die Routen der Regionalbuslinien 210 bis 975 benennen? Und klingt eine dreistellige Zahl mit einem X vorne dran nicht mindestens so geheimnisvoll wie Gleis neundreiviertel bei Harry Potter? Hätten wir unter normalen Umständen den Mut, in solch ein mysteriöses X-Gefährt einzusteigen?
An diesem einen Tag vorletzte Woche galt jedenfalls: Hoch lebe der X-Bus 732. Es ist eine Linie, die das Volk sich leistet und die nicht Elon Musk gehört, dessen Unternehmen und sogar Kinder alle ein X im Namen tragen. X steht im MVV-Deutsch für einen Express-Überland-Bus, für nichts anderes, da lassen wir uns kein X für ein U vormachen. Aber das X bringt uns zum U. Zur U-Bahn. Ab da ist wieder alles klar.
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