Warum nur hat ihn der Polizist nicht gesehen? Diese Frage stellt sich Basar A. (46) nahezu jeden Tag. Eine Antwort findet er auch am Dienstag nicht – da trifft er am Landgericht auf den Mann, der ihn am 1. Januar 2022 gegen 1,15 Uhr auf der Ludwigstraße überfahren hat. Mit 97 km/h.
Den Unfall überlebte der Taxler, doch er wurde schwerst verletzt. Mehr als 20 Operationen musste er bereits über sich ergehen lassen. Weitere sind geplant. „Meine vier Kinder haben mich noch. Das ist das Wichtigste“, sagt Basar A. Doch ob er je wieder arbeiten kann, ist unklar. Am Landgericht geht es jetzt um Schmerzensgeld – und die Frage: Wer haftet für diesen Unfall?
Die Geschichte der Silvesternacht ist an Tragik kaum zu überbieten. Denn Basar A. machte sich zunächst als Lebensretter verdient: Als ein Jugendlicher im Suff von der Treppe der Staatsbibliothek kopfüber auf den Asphalt gestürzt war, hielt nur Basar A. an. Er gab dem Jugendlichen Anweisungen und wählte den Notruf. „Ich hing in der Warteschleife und bekam Panik, denn es ging um Leben und Tod.“
Nur deshalb war der Taxler auf die Ludwigstraße getreten. „Mit Handy am Ohr, sah ich vom Odeonsplatz einen Streifenwagen mit Blaulicht heranfahren und wollte ihn auf den Notfall aufmerksam machen“, sagt Basar A. „Das Letzte, an was ich mich erinnere: Die sahen mich nicht und waren irre schnell.“
Sekunden später das Unglück: Der Streifenwagen traf A. in voller Fahrt. „Er wurde mindestens zehn Meter in die Luft geschleudert“, schilderte ein Zeuge vor Gericht. Dort geht es auch um die Frage, ob der Unfall vorhersehbar oder vermeidbar war. Also welche Verantwortung die Polizei trägt. 150 000 Euro fordert Basar A. vom Freistaat. Laut seinem Anwalt Michael Besta könnte die Summe noch auf 500 000 Euro anwachsen. Aber: „Bisher wurden uns lediglich 20 000 Euro vom Freistaat angeboten, davon gingen aber noch die Auto-Reparatur in Höhe von 13 000 Euro ab“, kritisiert der Anwalt.
Der Streifenwagen war Richtung Ungererstraße unterwegs. Ein Einsatz rechtfertigt zwar höhere Geschwindigkeit, doch auch Polizisten müssen Sorgfalt walten lassen, ansonsten entstehe eine sogenannte Betriebsgefahr, erklärt Richterin Katharina Stoll. Laut einem Gutachten hätte der Polizist etwa 30 Meter vor dem Aufprall 58 km/h fahren müssen, um Basar A. nicht zu treffen. Der Beamte schildert jedoch, dass er den Taxler „nicht wahrgenommen“ habe. Fraglich bleibt, warum der Polizist statt zu bremsen sogar noch beschleunigte, obwohl er zwei Kreuzungen überfahren musste, bevor es zu dem Unfall kam. Auch seine Kollegin kann zur Aufklärung wenig beitragen: Sie sagt aus, sie sei „mit dem Diensthandy beschäftigt“ gewesen und hätte „daher nicht auf die Straße gesehen“.
Vier Zeugen haben abweichende Erinnerungen an die Geschehnisse. Wo Basar A. beim Unfall konkret stand: Ob zwischen dem ersten und zweiten Fahrstreifen oder gar auf dem ersten des Gegenverkehrs, lässt sich kaum noch nachvollziehen. Es bleibt die Erkenntnis: „Wir wollten beide nur helfen“, sind sich Basar A. und der Polizist einig. Sie umarmen sich nach dem Prozess – ein berührender Moment.
Doch rechtlich bleiben die beiden Gegner: Richterin Stoll will ihnen ein schriftliches Vergleichsangebot unterbreiten, bei dem die Kosten am Ende wohl geteilt werden könnten.