Boom beim Radverkehr

von Redaktion

VON KLAUS VICK

Kommunalpolitisch ist es das Streitthema Nummer eins. Daraus machte Bürgermeisterin Habenschaden (Grüne) gestern im Saal des Alten Rathauses keinen Hehl. Den einen sei die Geschwindigkeit der Verkehrswende zu langsam, andere fühlten sich vom Tempo überrollt. Beide Haltungen würden sich in vielen E-Mails, die sie täglich erreichten, widerspiegeln, sagte Habenschaden. In diesem Konfliktfeld müsse die Stadt ihre Entscheidungen treffen, wobei für die Grünen-Politikerin eines feststeht: „Es gibt ein großes Potential zur Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs.“

Neue Daten des Mobilitätsreferats zeigen jedenfalls einen Trend weg vom Autoverkehr hin zu umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln wie dem Fahrrad. Verglichen wurde das erste Halbjahr 2019 mit dem ersten Halbjahr 2023, um verfälschende Corona-Effekte zu umgehen. Demnach hat der Radverkehr im Stadtgebiet um etwa 30 Prozent zugenommen. Basis waren Messungen an den Dauerzählstellen. Im öffentlichen Verkehr haben die Fahrgastzahlen annähernd das Niveau der Zeit vor Corona erreicht.

Der Kfz-Verkehr hat hingegen an den freien Messstellen der Stadt im Durchschnitt um etwa fünf Prozent abgenommen. Dabei ist die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge in den vergangenen vier Jahren um etwa fünf Prozent gestiegen, die Einwohnerzahl um rund zwei Prozent. Habenschaden sprach insgesamt von einem positiven Trend, der aber keinen Anlass für Jubelsprünge gebe: „Fünf Prozent weniger Autos sind nicht genug.“ Zumal aufgrund der gestiegenen Zahl der Zulassungen weiterhin keine Entspannung beim Thema ruhender Verkehr absehbar sei. Für eine langfristig positive Entwicklung der Mobilitätswende seien insbesondere ein besseres Angebot beim ÖPNV, sichere Rad- und Fußwege, eine massive Ausweitung von Carsharing und gut gemachte Bürgerbeteiligung notwendig.

Den Mobilitätskongress hat die Stadt bewusst in zeitlichem Zusammenhang mit der Internationalen Automobilausstellung (IAA) terminiert. Diese beginnt am morgigen Dienstag. Mobilitätsreferent Georg Dunkel machte deutlich, der Fahrplan für die Zukunft orientiere sich an einer effizienteren Nutzung des öffentlichen Straßenraums zugunsten von Fußgängern und Radfahrern. Leitbild sei eine lebenswerte Stadt. Dunkel: „Ein ,Weiter so‘ führt in eine düstere Sackgasse.“

Bei der Veranstaltung im Alten Rathaus waren sich Verkehrsexperten einig, dass die Mobilitätswende allein schon im Sinne des Umweltschutzes notwendig sei. Und dass der ÖPNV das Rückgrat dieser Wende sein muss. Für den Ausbau bei U-Bahn, Bus und Tram bedürfe es jedoch einer viel größeren finanziellen Unterstützung durch Bund und Freistaat. MVV-Geschäftsführer Bernd Rosenbusch sprach von einer Frage der politischen Prioritätensetzung: „Die Qualität des ÖPNV muss steigen.“ Gerade im Großraum München, wo täglich mehr als eine Million Pendler unterwegs seien.

Der Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), Ingo Wortmann, sagte, der Stadtrat habe die notwendigen Grundsatzbeschlüsse zur Verkehrswende gefasst. Aber wenn man die Fördergelder von Bund und Land betrachte, klafften Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Laut Wortmann soll sich die Anzahl der Fahrgäste bei U-Bahn, Tram und Bus in München von 600 Millionen im Jahr 2019 bis 2030 auf 730 Millionen erhöhen.

Wortmann zufolge ist der Planfeststellungsbeschluss der Regierung zum Bau der Tram-Westtangente zu erwarten. Ein Teilstück der Trasse soll Ende 2025 in Betrieb gehen. Bei den U-Bahnen prophezeite der MVG-Chef für die kommenden Jahre „große Baustellen“, um die Leistungsfähigkeit des Netzes zu erhalten.

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