München – „Volksschädling“, „Wehrkraftzersetzer“, mit krakeliger Handschrift gemalte Mordfantasien – der Grünen-Abgeordnete Martin Runge (65) aus Gröbenzell (Kreis Fürstenfeldbruck) fühlt sich dieser Tage wieder erinnert an die Frühzeit seiner politischen Tätigkeit. Runge ist ein Grüner der ersten Stunde, 1979 gründete er mit drei anderen Gesinnungsgenossen den grünen Ortsverband in seiner Gemeinde. Das war er gerade 20. Runge ist Zeitzeuge, Urgestein nennt man das wohl. Bei der Gründung des Grünen-Landesverbands im Oktober 1979 auf dem Nockherberg war er ebenso dabei wie bei der Entstehung des Bundesverbands 1980 in Karlsruhe. Nun ist er der Letzte aus der alten Garde der Bayern-Grünen, der sich verabschiedet – zumindest aus dem Landtag. Mit einer Unterbrechung war er dort seit 1996 Abgeordneter, zeitweise auch Fraktionschef der Grünen. Zur Wahl tritt er nicht mehr an.
Die Schmähungen aus seiner Anfangszeit hat sich Runge aufgehoben. Jetzt, da die Grünen mancherorts wieder wie Feinde, nicht wie Gegner, betrachtet werden, hat er sie wieder aus seinem Archiv rausgekramt. „Scheiß-Grüne“, „Drecks-Grüne“, was er sich derzeit im Wahlkampf so anhören müsse, sei schon starker Tobak. „Bei der letzten Wahl vor fünf Jahren hat man uns noch zugewunken.“ Davon kann jetzt keine Rede mehr sein. Aber Runge hat ein dickes Fell. Man müsse einstecken – und trotzdem Linie halten. „Angegriffen worden sind wir damals, in der Anfangszeit, viel, viel mehr.“
Martin Runge hat in den gut 40 Jahren viele genervt. Aber sich auch Anerkennung bei politischen Gegnern erworben. Berüchtigt, teils gefürchtet sind seine Attacken auf die bayerische Wirtschaftspolitik, der damalige Minister Otto Wiesheu war sein liebster Sparrings-Partner. Runge zählte auch zu den Euro-Skeptikern. Das brachte ihm einst eine Anfrage des AfD-Gründers Bernd Lucke ein – ob er denn nicht bei einem neuen Parteiprojekt mitmachen wolle. Runge lehnte dankend ab. Das mit dem Euro hat ihm aber noch eine Anerkennung von ungeahnter Seite gebracht: Peter Gauweiler, der gegen die Euro-Rettungspakete vor Gericht zog (im Auftrag des schwerreichen Baron von Finck, wie man heute weiß), zollte ihm Respekt. Man kennt sich, schätzt sich, auf Urlauben ebenso wie bei Geburtstagen gibt es gelegentliche Zusammentreffen.
Vor allem aber war Runge der Chefankläger des Transrapid-Projekts und er ist der Chefkritiker der zweiten Stammstrecke. Etwa 100 Landtags-Anfragen und Anträge habe er dazu verfasst. Gefürchtet sind dazu seine Dossiers, mit Anmerkungen gespickt, selten kürzer als 60, 70 Seiten, das letzte stammt erst vom Juli dieses Jahres. Zu dem Großprojekt hat Runge eine klare Meinung. Auch jetzt, sechseinhalb Jahre nach dem Spatenstich, sollte man „das milliardenteure Verdrussprojekt“ sofort stoppen. Die bereits entstandenen Betonbauten bei Laim könne die Bahn anderweitig gut brauchen. Er nennt das einen „qualifizierenden Abschluss“. Unter den alternativen Bahnexperten und der Bürgerinitiative in München-Haidhausen hat Runge seine treuen Fans. Ihnen sagt er zu, auch nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag „dranzubleiben“. Soeben erst hat er ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu überprüfen, ob die jetzige Linienführung die Statik der Frauenkirche beeinträchtigen könnte – es gebe plausible Vermutungen, dass das so sei.
Seine Abschiedsfeier – mit den anderen ausscheidenden Grünen-Abgeordneten wie Hep Monatseder oder Anne Franke – hat Runge schon gehabt. Zu seinen Ehren spielte Hans Well, ehedem Kopf der Biermösl-Blosn und ein treuer Anhänger vom „Martin“, eine Ode über das „Stammstreckenerwartungsland“. Als Well dann mit der Quetschn die Weise zum Besten gab, wie sich die jetzigen Grünen-Spitzen „an den Grünen-Hasser Söder ranwanzen“, soll auch die dauer-vergnügte Katharina Schulze kurz das Gesicht verzogen haben. Erzählt man sich.
Runge ist ganz vergnügt, wenn man ihn danach fragt. Er sagt, in der Opposition sei man nicht machtlos. Er habe viel bewegt. Die Grünen sollten nicht um eine Regierungsbeteiligung buhlen. „Niemals mit der Söder-CSU, sonst machen wir uns lächerlich“, sagt er. „Den Saustall ausmisten geht nur ohne oder gegen die CSU.“