Die Muhsen des Fremdenverkehrs

von Redaktion

PETER T. SCHMIDT

Bei traumhaftem Herbstwetter habe ich mir am vergangenen Samstag einen Bergtag gegönnt. Und nie habe ich es so sehr bereut, dass ich die Kamera daheim vergessen hatte. Die Almwiesen glänzten in goldenem Licht, und alle paar Schritte bot sich eine neue, noch spektakulärere Szenerie: sanfte Hügel, steile Hänge, schroffe Felstürme, dunkle Latschen, lichte Wälder. Und immer wieder: Kühe. Schwarz und braun, mit oder ohne weiße Flecken, schienen sie direkt einem Hochglanz-Werbeprospekt entsprungen. Und ihr treuherziger Blick verbot Spekulationen darüber, ob in der Farbgebung wohl irgendein Hinweis auf die Pläne des Almbauern bezüglich der bevorstehenden Wahl versteckt sein könnte.

Dafür keimte ein anderer Verdacht: Die Rinder grasen hier nicht aus purer Lust am Fressen, sondern zu höherem Zweck. Es muss da einen Vertrag geben zwischen den Tourismusverbänden und der Almwirtschaft.

Auf der ersten Weide hielt ich es noch für Zufall: Ein Dutzend Kühe fläzte da, äußerst malerisch, wiederkäuend im Gras. Ein schönes Bild fürs Urlaubsalbum, dem aber bei näherem Hinsehen ein wenig die Dynamik gefehlt hätte – wäre da nicht jene eine Kuh gewesen, deren Fell ganz besonders glänzte und die auf einem kleinen Hügel nahe dem Wanderweg stand: selbstbewusst, mit der Körperspannung einer Balletttänzerin, den Kopf mit den blank polierten Hörnern freundlich-interessiert dem Wanderer zugewandt.

Keine Viertelstunde später ein Déjà-vu: Wiederkäuende Kühe und mittendrin ein besonders prächtiges, stehendes Tier, wie vom Werbeprospekt-Fotografen in die Landschaft gestellt. Das müssen die Vertragskühe sein. Blickfang-Exemplare, die im Auftrag des Tourismusamts Erinnerungsfotos der Extraklasse garantieren und sich erst zum Wiederkäuen niederlegen, wenn ihre Kolleginnen sich erheben und wieder Leben ins Bild bringen. Ein genialer Kniff, der so recht zum Land von Laptop und Lederhose passt. Wiesen, Kühe, mitunter sogar Berge gibt es auch anderswo. Aber nirgendwo sonst kann der dauerknipsende Laienfotograf so professionell wirkende Schnappschüsse produzieren, die dann, tausendfach gepostet und geliked, für das Urlaubsland Bayern werben.

Das Grasbüschel, mit dem ich mich spontan erkenntlich zeigen wollte, strafte die Tourismus-Promoterin mit stoischer Nichtachtung. Wahrscheinlich ist sie besseres gewohnt.

Was mich zur Frage bringt: Wie werden die Vertragskühe bezahlt? Bekommen sie im Stall heimlich Zusatzfutter, Streicheleinheiten und Hufpediküre? Leuchtet aus ihrem Fell das neuste Shampoo von Pantene Pro-Vierbeiner, SyOchs, Swiss-O-Paarhufer oder Rindtuals ElixTier? Oder kommt zum Melken ein speziell ausgebildeter Masseur mit vorgewärmten Händen? Reicht für all das der Erlös aus der Kuhtaxe, oder gibt es EU-Subventionen? Und nicht zuletzt: Schließt die EU ihren Vertrag mit dem Bauern ab oder direkt mit der Kuh?

Fragen über Fragen, und nirgends eine Antwort. Sicher ist nur: Nächstes Mal nehme ich meine Kamera mit.

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