„Das kann doch alles nicht sein“

von Redaktion

VON NINA BAUTZ, MARIE DEGER UND MATTHIAS BIEBER

13 000 Gläubige sind in etwa in den jüdischen Gemeinden Münchens organisiert. Marian Offman (75) ist Beauftragter der Stadt für den interreligiösen Dialog. „Dieser ist nun sehr schwierig“, sagt der frühere CSU-Stadtrat und ehemalige Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde für München und Oberbayern. Auch persönlich nimmt ihn der Krieg in Israel schwer mit. „Das ist ein Albtraum, eine Katastrophe. Israel ist in Gefahr. Und ich habe Angst vor einem Flächenbrand!“ Offman, der Verwandte in Israel hat, sagt: „Ich wache nachts zwei, drei Mal auf – und lese die neuesten Nachrichten übers Handy.“ Seine Tante in Tel Aviv ist sehr schwer krank. „Und ich habe fünf Enkelkinder – es geht auch um deren Zukunft.“

Der Dirigent Daniel Grossmann, Jahrgang 1978, leitet seit 2005 das Orchester Jakobsplatz München, das seit 2018/19 Jewish Chamber Orchestra Munich heißt. Er hat Freunde und Verwandte in Israel und steht in telefonischem Kontakt mit ihnen. „Viele Reservisten sind ins Militär eingezogen worden“, sagt er. „Im Moment geht es allen gut, aber ob alle den Krieg überleben werden, weiß man nicht.“ Natürlich werde die israelische Armee („Da stehen eine halbe Million Soldaten im Gazastreifen“) gewinnen, glaubt Grossmann, aber: „Es wird ein schreckliches Gemetzel, ein furchtbarer Krieg, der aber wohl alternativlos ist nach diesen entsetzlichen Attacken.“ Es sei in der Grund-DNA Israels verankert, sich zu verteidigen, formuliert es der Künstler.

Bianca M. (44) fragt sich, wie sie das alles ihrer Tochter erklären soll. „Sie bekommt mit, dass Opa traurig ist. Und sie fragt, wie Menschen so etwas tun können? Ich habe keine Antwort.“ Die Münchner Angestellte fühlt sich unsicherer seit den Angriffen auf Israel. „Mein Papa traut sich jetzt nicht mal mehr mit der Kippa auf die Straße. Das kann doch alles nicht sein!“ Ihr Vater kämpfte vor 50 Jahren im Palästina-Krieg. „Das reißt nun alte Wunden bei ihm auf. Er kann die Bilder nicht ertragen.“

Auch Steven Guttmann (36) sagt: „Wir sind traumatisiert aus der Ferne, die Bilder und Geschichten bekommt man nicht aus dem Kopf, ob man wach ist oder schläft.“ Seine Schwester lebt in Israel mit einem kleinen Baby. „Sie traut sich nicht mehr auf die Straße.“ Guttmann ist Geschäftsführer der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und weiß aus Gesprächen, dass viele jüdische Münchner sich gerade haltlos fühlen. „Israel war für uns immer der letzte Zufluchtsort. Das fühlt sich jetzt nicht mehr so an.“ Er sei aber auch wütend, erzählt Guttmann. „Das ist unser 11. September. Wir hätten nicht gedacht, dass so etwas nach dem Holocaust noch einmal passieren würde. Ich kann nicht nachvollziehen, warum der Aufschrei in Deutschland und der ganzen Welt nicht größer ist.“

Shlomo Maayan (28) denkt jetzt an das Jahr 2014 zurück. Damals, als er selbst im Gaza-Konflikt kämpfte. Er sagt: „Ich würde es jetzt wieder tun. Ich will meine Leute verteidigen.“ Maayan stammt aus Petza’el, einer kleinen Siedlung im Jordantal. Vor fünf Jahren ist er nach Deutschland gekommen, lebt jetzt in München. Was er vergangenen Montag bei der Pro-Palästina-Demo auf dem Marienplatz hörte, hat ihn schockiert. „Ich wünschte, die Menschen würden verstehen, was dort auf Arabisch gerufen wird. Viele sind Anhänger der Hamas. Mit Blut und Geist wollen sie Europa besetzen. Deutschland sollte stärker gegen diese Menschen vorgehen. Ich selbst habe keine Angst, ich kann mich verteidigen. Aber ich habe Angst um Euch. Die Menschen, die hier leben und nicht verstehen, was auch hier gerade passiert.“ Maayan hält engen Kontakt zu seiner Familie und Freunden in Israel. Bereits zwei Freunde hat er in den letzten Tagen verloren.

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