Am 7. August 1850 findet ein ganz und gar einmaliger Festzug durch München statt: Der Kopf der Bavaria wird zur Theresienwiese gezogen – als krönender Abschluss einer Aktion, die seit Mai die Stadt (und viele Pferde) in Atem hält. Denn seit dem Frühjahr werden die Einzelteile der Riesen-Dame auf speziell konstruierten Wägen per Sechsspännern auf die Schwanthaler Höhe gekarrt. Am 9. Oktober schließlich wird die Bavaria feierlich eingeweiht – doch der Mann, dem wir die 18,52 hohe und 87 Tonnen schwere Bronzeskulptur verdanken, ist da schon seit zwei Jahren tot: Ludwig Schwanthaler, Vorzeige-Bildhauer Bayerns, ist heute vor 175 Jahren gestorben.
Der Hauptmeister des Klassizismus wurde zwar nur 46 Jahre jung, aber in seiner kurzen Lebenszeit schuf er etliche Klassiker (siehe Kasten) – sein Hauptwerk freilich ist die Bavaria über der Theresienwiese, die erste Kolossalstatue seit der Antike und ganz aus Bronze gegossen.
Das Talent wurde dem Münchner in die Wiege gelegt: Vater Franz Jakob Schwanthaler war auch Bildhauer, der etwa den Harmlos nahe dem Englischen Garten und das Rumford-Denkmal am Südrand des Parks erschaffen hatte.
Wie so viele Bauten verdanken wir die Bavaria Ludwig I. – und seinem Leib-und-Magen-Architekten Leo von Klenze: Denn der sollte eine Ruhmeshalle errichten mit großen Bayern und kam auf die Idee, sie mit einer Kolossalstatue zu „krönen“. Klenzes Entwürfe allerdings konnten sich nicht durchsetzen – weil da dieser ehrgeizige Schwanthaler war, der sich in patriotischen Zirkeln bewegte und weniger die griechische Antike, sondern das (romantisierte) Mittelalter bevorzugte. Damit rennt Schwanthaler, ganz im Zeitgeist des aufstrebenden Nationalismus verhaftet, natürlich offene Türen ein. Ludwig (Schwanthaler) gegen Leo (von Klenze): Ludwig siegt.
Schwanthaler entwirft etliche Modelle, die sich immer weiter von Klenzes Arbeiten entfernten. „Germanisch“ soll die Bavaria gekleidet sein, als Krone einen Eichenkranz tragen und auch in der triumphierend grüßenden Linken. Die mächtige Bronze besteht aus vier Teilgüssen Kopf, Brust, Hüfte, untere Hälfte und natürlich dem wehrhaften, starken Löwen.
Symbolträchtig ist nicht nur die Figur im Ganzen als stolzes Wahrzeichen der Bayern (und seit dem Boom der Wiesn als Botschafterin Bayerns in der ganzen Welt), sondern ganz besonders auch der Kopf von Bayerns Über-Mutter: Der ist aus der Bronze türkischer Kanonen gegossen, die 1827 mit der türkischen Flotte im griechischen Befreiungskrieg untergegangen und von König Otto von Griechenland, Sohn Ludwigs I., gehoben worden waren.
Ludwig I. erlebte die Aufstellung der Bavaria nicht mehr im Amt – er musste zwei Jahre zuvor nach der Lola-Montez-Affäre abdanken. Immerhin erhielt bei der Einweihung warme Worte. Und Schwanthaler war ja bereits zwei Jahre zuvor gestorben. Doch bis heute steigen Jahr für Jahr Tausende im Inneren der Bavaria aufwärts – und genießen den Blick über die Theresienwiese.