Wie sehr er fehlt, das merkt man wohl gerade jetzt. Am 20. November jährt sich Dieter Hildebrandts Todestag zum zehnten Mal. Und man fragt sich, wie hätte er – der filigran in Gestalt und Wortwitz zum Koloss des deutschen Kabaretts wurde – diese Zeiten künstlerisch begleitet? Diese Zeiten, in denen man oft der Schreihals-Kultur, der exzessiven Schwarz-Weiß-Malerei, dem Hass und der Hetze in den Sozialen Medien überdrüssig wird. Ja, sie fehlt schon sehr, diese lautstarke Stimme im Dienst der Demokratie, denkt man sich dann. Oder anders gesagt: die fein- und scharfsinnigen Zwischentöne.
So sieht das auch Alt-OB Christian Ude (SPD), der Dieter Hildebrandt durchaus freundschaftlich verbunden war. Ude sagt: „Er hat einen aufrechten Gang und kritischen Verstand verkörpert und Kabarett als Kunstform und Instrument der Aufklärung verstanden. Nicht als plumpe Comedy – wie heute so häufig.“
Zusammen mit seinen Vorstandsmitgliedern des Vereins „Die Laden-Hüter“, der „Lachundschiess-Veranstaltungs-Gmbh“ und Hildebrandts Witwe, Renate, hat der Alt-OB einen Erinnerungsabend im Barocksaal des Deutschen Theaters organisiert. Das vielversprechende Motto des Programms am Montag lautet: „Denkzettel“. Und geladen ist ein illustrer Kreis aus Familie, Freunden und Wegbegleitern wie Bruno Jonas.
Dieter Hildebrandt wurde am 23. Mai 1927 in Bunzlau (Niederschlesien) geboren. In München fand der Beamtensohn als Heimatvertriebener ein neues Zuhause. Er studierte Literatur- und Theaterwissenschaften, ließ sich nebenher zum Schauspieler ausbilden. Zum Kabarett kam er eher durch Zufall. Der Studentenjob eines Platzanweisers im Theater „Kleine Freiheit“ brachte Hildebrandt mit Werner Finck und Erich Kästner zusammen. Er perfektionierte Fincks Technik des kalkulierten Versprechers, des wie improvisiert wirkenden Spiels mit der Sprache und mit politischen Begriffen. So avancierte er schnell zum heimlichen Star im Ensemble der 1956 gegründeten „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, die er über Jahre hin prägte.
Endgültig zur prägenden Figur des deutschen Kabaretts wurde Dieter Hildebrandt mit der Kult-Sendung „Scheibenwischer“ (1980 – 2003). Streitlustig und unangepasst, eckte er vor allem in konservativen Kreisen an. Besonders im Gedächtnis bleibt der Skandal um eine Folge des „Scheibenwischer“ zum Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahre 1986, aus der sich der Bayerische Rundfunk ausblendete. Unvergessen ist auch seine Rolle als Fotograf „Herbie“ in Helmut Dietls legendärer Serie „Kir Royal“.
Ude sagt, er habe Hildebrandt schon als Schüler bewundert. Er sei für ihn „eine meinungsbildende, prägende Persönlichkeit“ gewesen, „auch in seiner Kritik und seiner Verbundenheit zur SPD“. Hildebrandt bezeichnete sich als Sympathisant der Sozialdemokraten, sei aber nie der Partei beigetreten, weil er „schnell wieder rausgeflogen“ wäre. Seit 2016 wird in München auch jährlich ein Dieter-Hildebrandt-Preis verliehen – für anspruchsvolles politisches beziehungsweise dezidiert gesellschaftskritisches Kabarett.
Dieter Hildebrandt war immer ein rastloser Mann, ein brillanter Beobachter, ein scharfsinniger Geist, das heimliche Gewissen der Nation. Am Montag wird seine Stimme im Deutschen Theater ein Stück weit zum Leben erweckt.