Die schlimmsten Sätze des Winters

von Redaktion

MATTHIAS KIEFERSAUER

Es hätte so ein schöner Abend werden können: Ein Tisch voller alter Freunde in einer urigen Münchner Kneipe. Aber irgendwann nahm das Gespräch eine ungute Wendung. Wir hatten schon ausgiebig über Krankheiten und Verletzungen gesprochen, wie es sich gehört, wenn sich Menschen über 35 treffen. Als sich aber abzeichnete, dass unsere defizitären Körper durch eine Schnapsrunde etwas Hoffnung erfahren sollten, grätschte Freund Stefan dazwischen, prahlte mit seinem Gesundheitszustand und begründete ihn zugleich mit dem schlimmsten Satz dieses Winters: „Ich gehe jetzt regelmäßig zum Eisbaden.“

Eisbaden ist das neue Brotbacken, so wie Brotbacken das neue Yoga war. Irgendeine Tätigkeit eben, die sich zum Trend auswächst und die vor allem ein Ziel hat: Mir ein schlechtes Gewissen zu bereiten. „Das solltet Ihr auch mal versuchen“, säuselte Stefan den zweitschlimmsten Satz dieses Winters. Etwas Ähnliches hatte damals auch Tommy gesagt, als er seinen selbst gebackenen Urkornlaib aus dem Ofen holte, der mich nur Minuten später einen halben Zahn kostete. Oder Annas selbst gemachte Pasta! Die war zum Trocknen stundenlang raumgreifend in Annas Küche gehangen, hatte uns beim Aperitif den Blick aufeinander verstellt – und schmeckte dann ausgesprochen unspektakulär. Ich hadere mit dem Zeitgeist. Was für meine Freunde ein neues Hobby ist, endet für mich regelmäßig als Mutprobe, die ich nicht bestehe. Wird man nicht irgendwann zu alt für Mutproben?

Jetzt ist jedenfalls Eisbaden der heiße Scheiß. Die wohlige Wärme danach mag großartig sein. Und dieses Gefühl, der krasseste Typ am Tisch zu sein, wenn man aus seinem Leben erzählt, das kennt ja sonst nur Dieter Bohlen. Trotzdem kann ich mich nicht fürs Eisbaden erwärmen. Der Weg ins Wasser ist mir schlichtweg zu nass, zu kalt und zu steinig. Außerdem habe ich derzeit keine Bikinifigur – und genug andere Herausforderungen in meinem Leben. In meiner Küche wird beispielsweise das Wasser nicht mehr warm, ich muss immer kalt abspülen. Das ist das Eisbaden des kleinen Mannes. Das reicht mir. Freund Stefan ließ trotzdem nicht locker, als er uns in der Kneipe für sein neues Hobby gewinnen wollte. Schließlich gab ich ihm ein Versprechen: Ich gehe ab jetzt auch regelmäßig zum Eisbaden, und zwar immer am letzten Tag eines Jahrhunderts.

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