Es war bei einem gemeinsamen Essen und bei einer guten Flasche Rotwein, als die Idee geboren wurde. Giovanni di Lorenzo, damals noch SZ-Journalist und heute Chefredakteur der Zeit, saß an diesem Herbstabend 1992 bei Freunden zu Tisch. „Und wie schon viele Male zuvor haben wir beklagt, was gerade in Deutschland passiert“, erzählt di Lorenzo. Schreckliche Dinge nämlich: brennende Asylbewerberheime, Anschläge auf Migranten, ein pöbelnder Mob und eine „merkwürdige Stille in der Politik“, wie es di Lorenzo umschreibt. „Jedenfalls wuchsen die Zweifel, ob das noch dem Bild vom weltoffenen Deutschland entsprach, an das wir glaubten.“
Zusammen mit seinen Freunden Christoph Fisser, Chris Häberlein und Gil Bachrach war sich Giovanni di Lorenzo an diesem Abend einig, dass dagegen ein Zeichen gesetzt werden sollte. Und zwar aus der Mitte der Gesellschaft. „Eine Demo für Menschen, die vielleicht noch nie zuvor auf einer Demo waren“, sagt der 64-Jährige. Das Motto: „München – eine Stadt sagt Nein.“ Das Format: eine Lichterkette. Auf eine Beteiligung von 100 000 Menschen hofften die Organisatoren. Am Ende wurden es um die 450 000. Der Zeit-Chef erinnert sich: „Es war ein wunderbares Gefühl, weil es gezeigt hat, was Bürgerinnen und Bürger aus eigener Kraft auf die Beine stellen können. Ich bin damals durch die Stadt getaumelt und konnte es nicht fassen.“ Während der Demo kreiste der Hubschrauber der Unterhaltungssendung „Herzblatt“ über der Stadt – und lieferte hernach Bilder für TV-Sendungen in aller Welt. „Niemand hätte erwartet, dass solch ein Zeichen aus München kommt.“
Die heutigen Proteste lassen sich nach Dafürhalten von di Lorenzo durchaus mit der damaligen Situation vergleichen. Sie seien wichtig. „Und der Protest ist immer am eindrucksvollsten, wenn er aus der Mitte der Gesellschaft kommt.“ Giovanni di Lorenzo ist am Sonntag aus familiären Gründen verhindert, persönlich dem Lichtermeer auf der Theresienwiese beizuwohnen. Aber mit seinem Herz sei er an diesem Abend in München, versichert der Mit-Initiator der Lichterkette.
Der Münchner Schriftsteller Peter Probst gehörte 1992 auch zum Organisationsteam des Vereins Lichterkette. Insgeheim, so erzählt er heute, habe er das Ziel der Initiatoren, 100 000 Menschen zu mobilisieren für größenwahnsinnig gehalten. „Als es dann über 400 000 wurden, war es für mich wie ein Wunder.“ Probsts Aufgabe war es, möglichst viele Prominente zu animieren, zur Teilnahme an der Demonstration aufzurufen. „Das ging erstaunlich leicht“, erinnert er sich. Er führte damals die Promis vor das Angerkloster an der Blumenstraße. „Dort standen zum Beispiel Senta Berger und Thomas Gottschalk inmitten demonstrierender Klosterschwestern.“
Für Peter Probst ist es damals wie heute genauso wichtig, dass ein bunter Querschnitt der Stadtgesellschaft gegen menschenverachtende Tendenzen Flagge zeigt. Dieses Gefühl habe er schon vor drei Wochen bei der Demo am Siegestor mit mehr als 200 000 Menschen gehabt. „Es hat mich sehr an die Lichterkette erinnert.“
Aus beruflichen Gründen kann Probst am Sonntag beim Lichtermeer auf der Theresienwiese nicht dabei sein, dafür aber seine Ehefrau, die Moderatorin und Schriftstellerin Amelie Fried. Sie sagt: „Wenn ich an die Lichterkette von 1992 denke, empfinde ich ein Gefühl großer Dankbarkeit. Noch heute, wenn ich die Hubschrauberaufnahmen von damals sehe, kommen mir die Tränen.“ Für sie habe „das Licht als Symbol der Aufklärung, das gegen die finsteren Phantasien von Rechtsextremen gesetzt wird“, damals wie heute Gültigkeit. Die schweigende Mehrheit verschaffe sich Gehör und mache deutlich: „Wir lassen unsere Demokratie nicht zerstören!“
Angela Bauer stand 1992 mit Kollegen der Kinder- und Jugendhilfe und vielen jungen Menschen vor der LMU. „Der Anblick der nicht endenden Kette war überwältigend.“ Am wichtigsten sei für sie das Gefühl gewesen, nicht alleine zu sein, „mit vielen Menschen die Abscheu gegen rechtsextreme Hetze und Hass zu teilen“. Das habe Mut gegeben und sei auch bei den heutigen Protesten so. Bauer ist Vorstandsmitglied der Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco, die zu den Mitorganisatoren des Lichtermeers gehört. Sie wird wie 1992 dabei sein.
Alt-OB Christian Ude (SPD) „selbstverständlich auch“, wie er sagt. Überwältigend und unglaublich seien die Bilder von 1992 gewesen. „Die Mitwirkenden hatten über Nacht das Klima verändert: Auf Ausländer zu schimpfen, war nicht mehr in, sondern mega-out.“ Und das größte Glücksgefühl habe er gehabt, als die Initiatoren der Lichterkette mit der Medaille „München leuchtet“ in Gold ausgezeichnet wurden.