Abtauchen im Archiv

von Redaktion

Am Samstag erlauben die Schatzkammern des Wissens einen Blick hinter ihre Kulissen

VON GABRIELE WINTER

Was furchtbar trocken klingt, ist in Wirklichkeit ebenso interessant wie amüsant. Richard Winkler, Chef des Bayerischen Wirtschaftsarchivs (BWA), scherzt: „Wir sind im akademischen Transportgewerbe.“ Winkler und seine Kollegen suchen, sortieren und sammeln Gegenstände und Schriftstücke, die uns einen Blick ins alte Bayern ermöglichen. An diesem Samstag, 2. März, kann jeder hinter die Kulissen schauen. Da ist nämlich Tag der Archive – und das Wirtschaftsarchiv zeigt zu seinem 30-jährigen Bestehen besondere Exponate.

Das Archiv: Es ist eine Schatzkammer des Wissens, auch ganz greifbar. Zum Beispiel gibt’s das erste Telefon Münchens als originalgetreuen Nachbau zu sehen. „Das Original der Firma Reiner steht in Nürnberg. Das sieht ein bisschen blöd aus, wenn man hier so reinspricht“, sagt Richard Winkler, während er einen Hörer in der Hand hält und in den großen Holzkasten spricht. „Wenn man abgehoben hat, hatte man die Damen aus der Vermittlung dran und musste ihnen die Nummer sagen.“ Doch im Vergleich zu heute wurde damals vermutlich auch weitaus weniger telefoniert. Nur Behörden und Firmen verfügten über die Fernsprecher. „Privatleute konnte sich das gar nicht leisten. Ein normaler Arbeiter hätte für den Preis eines Telefonanschlusses ein ganzes Jahr seine Wohnung bezahlen können.“ Kein Wunder, dass auch das erste Telefonbuch Münchens nur 146 Namen listet.

Ebenfalls zahlenmäßig spannend: ein Werbeplakat der Münchner Firma Togal, die ihre Fußpflege-Produkte der Marke „Efasit“ anpries. Wer genau hinschaut, sieht, dass die gezeichnete Dame auf dem Plakat sechs Zehen pro Fuß hat. Macht aber nix – am Ende fußt der Ruhm unserer Stadt sowieso auf einem ganz anderen Produkt: dem Bier. Die Bedeutung der Branche sieht man schon daran, dass (bis auf Augustiner) alle großen Münchner Brauereien Exponate im Wirtschaftsarchiv gelagert haben. So findet sich dort beispielsweise die erste in München produzierte Bierdose. Allerdings hat Löwenbräu die im Jahr 1953 nicht für die Einheimischen, sondern für amerikanische Soldaten hergestellt. In den USA wurde Bier schon seit 1935 gern aus Dosen getrunken.

Spannend und aus heutiger Perspektive sehr ungewöhnlich sind auch historische Arbeitsverträge wie die der Spaten-Brauerei: Alle Angestellten bekamen täglich sieben Liter Bier zu trinken. Es durfte nur während der Arbeitszeit konsumiert und nicht mit nach Hause genommen werden. Pro Kopf wurden damals in München durchschnittlich 500 Liter Bier im Jahr getrunken.

Eher nach einem ordentlichen Kater fühlt sich dagegen die Beschäftigung mit dem Versandhaus Quelle an. Winkler berichtet: „Zu Quelle nach Nürnberg sind wir mit einem großen Lastwagen gefahren und haben Firmenunterlagen und alte Kataloge mitgenommen.“ Die liegen jetzt im Wirtschaftsarchiv und zeugen von Zeiten, in denen man bei Quelle vom Haus bis zum Hund alles bestellen konnte. Als der Versandhändler 2009 Insolvenz anmelden musste, konzentrierte sich das Geschäft eher auf Mode. Gegründet worden war das Unternehmen 1927, nach der Entnazifizierung florierte es ab den 1950er-Jahren. Im neuen Jahrtausend, mit dem Siegeszug des Internets, wandten sich die Kunden dann aber immer deutlicher vom klassischen Katalog-Geschäft ab.

Auf eine Umwälzung anderer Art blickt das Archiv zurück, wenn’s um die 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts geht. Damals war Notgeld im Umlauf, das als offiziell gültiges Zahlungsmittel diente. Weil Rohstoffe wie Metalle und Papier knapp wurden, bekamen einige Firmen die Lizenz zum Geld-Backen. So stellte zum Beispiel Conradty Geldthaler aus gepresstem Kohlenstoff her. Die Münzen hatten den Gegenwert von 100, 500 oder 1000 Mark und waren verhältnismäßig groß.

Interesse? Dann schauen Sie, liebe Leser, an diesem Samstag vorbei im Bayerischen Wirtschaftsarchiv, Orleansstraße 10-12, 81669 München. Am Tag der Archive ist es von zehn bis 17 Uhr geöffnet.

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