Nächstenliebe oder Enkeltrick?

von Redaktion

MATTHIAS KIEFERSAUER

Davon hat vermutlich jeder schon einmal geträumt: Plötzlich ist da jemand, der einem Geld schenkt, einfach so. Aber wie oft geht dieser Traum in Erfüllung? – Ich erinnere mich: Mein Opa hat mir ab und zu mal eine Mark zugesteckt. Gleichzeitig erschrecke ich darüber, dass der Opa jetzt schon 31 Jahre tot ist – und die Mark 22 Jahre. Unmotivierte Geldgeschenke erreichten mich seitdem eher selten. Einmal schickte mir eine Leserin dieser Kolumne einen Zehner, als schlagfertige Antwort auf einen Text. Aber bedauerlicherweise wurde das nicht zu einem neuen Münchner Brauch. Die Münchner behalten lieber ihre Kohle und gehen Eisbaden.

Wer Geld haben will, muss also dafür arbeiten – oder ins Netz gehen. Auf Instagram gibt es derzeit nämlich eine Münchner Seite, die Geld verschenkt. Regelmäßig werden dort Clips mit der immer gleichen Dramaturgie veröffentlicht: Eine Hand faltet einen Geldschein und versteckt ihn. Und dann folgt eine Kamerabewegung, die kurz die Umgebung zeigt, eine Straße, eine Häuserzeile, irgendeinen Ort in München. Anwohner dieser Orte wundern sich vermutlich, warum an einem einzigen Tag hunderte von Passanten gesprintet kommen, um den immer gleichen Stein aufzuheben. Alle außer dem ersten Passanten gehen danach enttäuscht weg. Es ist eine Art Flashmob zum Thema Hoffnung und Enttäuschung. Filmt das jemand mit einer versteckten Kamera? – Könnte lustig sein.

Das Spiel beschäftigt mich mehr als ich will. Nach knapp 30 Jahren in München kann ich die meisten Verstecke verorten. Trotzdem breche ich nicht sofort auf, sobald ein neuer Clip gepostet wird. Ich frage mich nämlich, was das Geschäftsmodell des Schenkers ist. Verdient die Seite allein durch die Klickzahlen so gut, dass die versteckten Summen nicht ins Gewicht fallen? Handelt es sich um Nächstenliebe oder eine Art Enkeltrick? Und ist es nicht beschämend, hier sofort eine krumme Tour zu wittern? – Solange ich keine Antworten auf diese Fragen habe, werde ich mich jedenfalls nur in der Theorie beteiligen. In der Praxis halte ich mich an das, was mir mein Opa vor über 31 Jahren beigebracht hat: „Um Geld spielt man nicht.“

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