Es ist Frühling. Ottfried Fischer blinzelt der Sonne entgegen – vorm Hochreiter am Viktualienmarkt. Es ist sein 71. Frühling, und für heuer sitzt er das erste Mal draußen. Schauen, was los ist. „An einem Platz wie diesem spielen sich viele interdisziplinäre Dinge ab“, philosophiert der Kabarettist, Schauspieler und Autor. „Ich muss mich jetzt langsam daran gewöhnen, dass sich das lichtscheue Gesindel des Winters, wieder an die Oberfläche traut“, meint er noch, um dann die deutsche Klassik zu Wort kommen zu lassen: „Frühling, Frühling wird es nun bald“, zitiert Fischer Hoffmann von Fallersleben, um dann mit Eduard Mörike fortzufahren: „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte; süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land…“ – „Möge sich Mörike durchsetzen“, wünscht sich Fischer.
Es geht ihm ganz gut. Dreimal die Woche trainiert er im Rehazentrum Ecos im Arabellapark, um aus dem Rollstuhl in die Senkrechte zu kommen und bald wieder gehen zu können – nach seinem Riss der Oberschenkelsehne. Auch ein Knie ist lädiert. Ottfried hält seinen Physiotherapeuten auf Trab, wobei nicht geklärt sei, wer wen trainiert, scherzt Ottfried. Seine Leiden nimmt er mit Humor. „Momentan stehe ich an der Schwelle zum Aufstehen, was schwierig ist, weil ich Probleme mit dem Gleichgewicht habe – und den Parkinson hab i ja aa no, den muaß i aa no a bissl befriedigen.“ Jammern ist nicht.
Also – zurück zum Frühlingserwachen. „Alles, was bei mir an Frühlingsgefühlen ausgelöst wird, ist seit diesem Jahr auf unsere Katze Jimmy verlagert – der kriegt alles ab“, erzählt Ottfried. Der Kater kam vor einem Jahr in ihr Haus nach Gauting, und eigentlich hatte sich Fischer massiv gegen den neuen Mitbewohner gewehrt, doch Simone hat sich am Ende durchgesetzt. „Jetzt liebt der Ottfried den Jimmy abgöttisch.“
Mindestens einmal die Woche gönnen sich die Fischers einen Ausflug in die Stadt – mit ihrem behindertengerecht umgebauten Ottimobil. Da treffen sie vor allem Freunde. Heute ist die Taschen-Designerin und Paralympics-Dritte im Tennis-Doppel (2000 in Sydney), Petra Sax-Scharl, mit von der Partie, als Nachbarskinder sind Simone und Petra in Laufen zusammen aufgewachsen. Ein Skiunfall zwang Petra mit 16 Jahren in den Rollstuhl. So kommt es, dass sie jetzt gemeinsame Sache machen: Mit Ottfried engagieren sie sich für Inklusion in Bayern – am 27. April soll es in der Modellstadt Starnberg einen Aktionstag geben. „Das barrierefreie Bayern hinkt dem Ziel ganz schön hinterher!“ Beispiel Viktualienmarkt. Das Kopfsteinpflaster ist mit einem Rollstuhl kaum zu bewältigen. „Ein Vorbild ist das Platzl. Das war früher auch fürchterlich, dann wurde es abgeschliffen und begradigt – jetzt ist es wunderbar“, weiß Petra. Das hilft nicht nur den Rollstuhlfahrern, auch den Angehörigen – Simone würde es rein körperlich gar nicht schaffen, Ottis Rollstuhl über das Kopfsteinpflaster zu schieben, deshalb ist Pfleger Ralf Werrstein mit dabei. Nach einem Burnout hat Simone die Notbremse gezogen und nimmt sich jetzt immer mal wieder Auszeiten – ein paar Tage am Meer oder in einer schönen Stadt. Für Ottfried wieder ein Grund zu scherzen: „Das ist dann eine Mischung zwischen tiefster Trauer und höchster Freude!“ Und wenn Simone wiederkommt? „Dann ist es wie beim ersten Mal!“, behauptet Ottfried.
Auch fest im Terminkalender: Jede Woche, spätestens aber alle 14 Tage die Mama in Passau besuchen! Das Altersstift liegt in der Altstadt, so können Simone und Ottfried Maria Fischer in die Eisdiele oder ins Restaurant entführen. Und jedes Mal fragt die 95-Jährige den Otti: „Hast du abgenommen?“ Das geht dem Ottfried runter wie die Leberkässemmel von der Metzgerzeile, wo die Chefin hinter der Theke befiehlt, man möge ihm doch ein gscheit’s Stück herunterschneiden. Das ist das Münchner Lebensgefühl, das ist die Leichtigkeit des Seins. „Man merkt schon, wie die Anzahl der Lenze sich dahingehend äußert, dass sich das Thema Nummer eins mehr aufs Essen verlagert“, sinniert der Ottfried und studiert nach der Leberkäs-Vorspeise die Speisekarte vom Hochreiter. Und schon kommen die Sailers ums Eck! Die Sailers, die in Obergiesing die neue Münchner-Kindl-Brauerei bauen und das in fünf Generationen erarbeitete Vermögen ausgeben – ausgerechnet an der Isar, wo es eh schon so viel Bierproduktion gibt. Der Ottfried meinte dazu: „In München eine Brauerei zu bauen, ist wie in Mekka ein Spanferkel grillen.“ Doch Dietrich Sailer (67) ficht das mit seinen Söhnen Luis (24) und Leo (28) nicht an; sie erzählen von der Baustelle, die täglich ihre Herren sehen will. Gerade wird das Gebäude mit Klinker umhüllt, in einem Jahr soll dann große Eröffnung sein – mit Ottfried als Ehrengast.
Auch Dietrich Sailer kennt Simone aus Kindertagen – als Traunsteiner Brauer hat er das Bier in das Gasthaus ihrer Eltern geliefert, zu der auch eine Metzgerei gehörte. Und da schließt sich schon wieder ein Kreis: Denn mit einer Tüte Würschtl ging Simone gern zur Petra hinüber: „Ihre Mama hatte die erste Fritteuse am Ort – und da gab es immer Pommes!“
Begegnungen und Erinnerungen – das macht Ottfried glücklich, selig schwelgt er in der Runde. Simone freut noch etwas anderes: „Meine Frühlingsgefühle sind das neue E-Bike, das ich mir bestellt habe! Dann motorisieren wir den Rolli vom Ottfried und liefern uns in Gauting ein Straßenrennen.“ Ja, es gibt das Glück des Augenblicks – und mag die Gesamtlage noch so herausfordernd sein!