Eine kaputte Weiche wurde gestern zum Härtetest für das Nervenkostüm von hunderttausenden S-Bahn-Passagieren. Um halb neun Uhr morgens ging ein sogenanntes Herzstück einer Weiche zwischen Hackerbrücke und Donnersbergerbrücke kaputt. Die allermeisten Linien der S-Bahn konnten nicht auf der Stammstrecke zwischen Pasing und Ostbahnhof fahren – und diejenigen, die konnten, zuckelten ganz langsam dahin. Viele Stunden lang.
Es kam noch schlimmer: Weil ein neues Herzstück offenbar nicht vorrätig war, musste es erst mal beschafft werden. Der Ausbau des defekten und der Einbau des neuen Weichenteils forderten ungefähr fünf Stunden Schweiß-Arbeit. Und so wurde die Reparatur auf die Nachtstunden verlegt, um zumindest den Berufsverkehr nach Hause nicht zu gefährden. „Bis dahin“, so die Bahn, „können die S-Bahnen in reduziertem Umfang weiterfahren“. Allerdings: Da die Weiche an „neuralgischer Stelle“ liegt, konnte man sie nur im Schneckentempo passieren.
Gestern gegen 15.15 Uhr meldete die Bahn, dass zumindest die S2, S3, S6, S7 und S8 wieder regulär auf der Stammstrecke fahren können. Alle anderen Linien blieben weiterhin betroffen. Die Passagiere der S4 traf es doppelt hart. Ihre Linie musste am Nachmittag zwischen Puchheim und Fürstenfeldbruck nach einem Notarzteinsatz gesperrt werden.
Das ewige Chaos ist das eine, das alle auf die S-Bahn angewiesene Passagiere schier in den Wahnsinn treibt – das andere ist die ebenfalls chronisch ungenügende Information an den Bahnsteigen. Eine der Betroffenen ist unsere Leserin Martina Müller (49). Sie berichtet von ihrer Odyssee in die Arbeit – wo sie am Ende nie ankam. „Ich schaute kurz vor 9 Uhr auf die MVV-App und stellte fest, dass keine Störung vorliegt. Also fuhr ich mit der U5 vom Max-Weber-Platz zum Ostbahnhof und wunderte mich bereits, warum es beim Einstieg so wahnsinnig voll am Bahnsteig und in der U-Bahn war.“ Die Antwort dann am Ostbahnhof: überfüllte Bahnsteige, nichts fuhr mehr. „Aber die S8 angeblich schon, um kurz nach neun. Ich freute mich schon. Doch sie kam nie. Und auch sonst: keine Infos.“ Also ging’s ins Homeoffice.
Am anderen Ende der Stammstrecke im Westen ein ähnliches Bild. Am Bahnhof in Laim standen nicht nur die Fahrgäste, sondern auch die Zugführer ratlos herum. „Ich weiß nicht, wann es weitergeht“, informierte einer von ihnen seine Fahrgäste in der S2. Als nach 40 Minuten immer noch nichts vorwärtsging, mussten die Pendler den Zug verlassen, damit die nachfolgende S-Bahn den Bahnsteig sicher erreichen konnte.
Die Folge: eine nicht unerhebliche Menschentraube an der Laimer Bushaltestelle – und überfüllte Trambahnen auf der Linie 19 in die Innenstadt.
Eine der Betroffenen war Carolin P. (36), die vom Westbad mit der Linie 19 zur Arbeit in der Nähe vom Stachus wollte. „Ich musste etliche Trams passieren lassen, weil sie heillos überfüllt waren. Ich verstehe einfach nicht, warum die S-Bahn ihre ganzen Probleme nicht in den Griff kriegt. Wenn ich den Facebook-Auftritt sehe, dann kann ich nur noch lachen. Da werben sie für bunte Frühlings-Züge – das Geld ist woanders viel besser aufgehoben.“
Warum allein die Beschaffung des Ersatzteils der Weiche viele Stunden gedauert hat, wollten wir von der Pressestelle der S-Bahn wissen. Eine Antwort kam auf die Anfrage bis zum Redaktionsschluss allerdings nicht.