Jörg Zuber vor seinem Atelier am Gärtnerplatz. Er liebt das Viertel.
Engelbert Gillitschka (li.) und Wolfgang Neuherz betreiben seit 1981 das Edelheiss.
Am Christopher Street Day zeigt die Community möglichst bunt, was in ihr steckt. © Marcus Schlaf (3)
Wo hört der Gärtnerplatz auf, wo fängt der Glockenbach an? So genau weiß das keiner der Bewohner, aber das macht nichts. Münchens Schwulenviertel erkennt man nicht an Straßennamen, sondern an der Stimmung. „Es ist unglaublich kreativ hier. Nicht laut und anonym wie an anderen hippen Orten“, sagt Jörg Zuber, „es gibt nicht ständig Party und es gibt einen Ladenschluss. Dafür hat der Glockenbach etwas Familiäres, Gemütliches. Man fühlt sich geborgen.“
Zuber (41) ist Animations-Designer und hat sein Atelier seit 20 Jahren in der Nähe des Gärtnerplatztheaters. Die Lebensqualität stimmt hier, darüber ist er sich mit vielen Bewohnern einig. „Klar, die Mieten und Kaufpreise sind inzwischen erschreckend hoch. Freunde, die suchen, berichten mir von 20000 bis 30000 Euro pro Quadratmeter, das ist Wahnsinn! Aber vielleicht ist das eben der Preis dafür, dass hier alles Atmosphäre bewahrt hat.“ Die kleinen, feinen Boutiquen und die vielen idyllischen Hinterhöfe liebt Jörg Zuber. Sein Büro mit 17 Angestellten liegt auch in einem solchen, in einem Neubau.
Anders das Geschäft von Wolfgang Neuherz (62): Das Edelheiss an der Pestalozzistraße hat seit 28 Jahren dasselbe braun getäfelte Kneipen-Interieur im 80er-Jahre-Stil. „Ich bin in der Zeit stehen geblieben“, sagt Neuherz vergnügt, „das Schrille mag ich nicht.“ Wie Zuber hat auch der Schwulen-Wirt ein riesiges Herz fürs Viertel. „Ich liebe die gewachsene Vielfalt“, sagt er. „Früher war unsere Straße bis ans Ende dunkel, heute leuchtet und strahlt sie. Wenn man abends herumspaziert, sieht man: Es bewegt sich was!“
Wobei er die Gentrifizierung manchmal als Zumutung empfindet. So habe ihn die Brauerei um mehr Pacht gebeten, weil das jetzt hier „ein In-Viertel“ sei. „Das ist doch kein Argument! Ich habe mich geweigert.“ Außerdem sei es manchmal so voll, dass es „keinen Spaß mehr macht“. Immer mehr Touristen kämen, und viele, die sich von der Stimmung und den Hotspots der Gays, Lesben, Drags und Queeren angezogen fühlen. „Zum Christopher Street Day und am ersten Wiesn-Wochenende wird es so eng, dass ich direkt Angst habe. Ich muss jedes Mal Strafe zahlen, weil meine Gäste draußen auf dem Gehsteig unseren Bereich überschreiten und laut sind. Als wir 1982 eröffnet haben, war alles gesitteter.“
Andererseits gehen viel zu oft die Lichter aus im Quartier. „Die Schwulenkneipen sterben“, bedauern Zuber und Neuherz. Beide zählen dieselben Treffs auf, die sie vermissen: Dden Bau, die Teddy Bar, das Stud. „Alle nicht mehr in schwuler Hand“, sagt Neuherz. Zuber bedauert vor allem das Verschwinden des Moritz, „eine tolle Mischung aus Bar, Lounge und Restaurant, die sich nicht halten konnte. Ich bemühe mich jetzt immer, solche Läden zu unterstützen und öfter hinzugehen.“ Dafür gebe es jetzt mehr gemischte Läden, notieren beide, im Prosecco oder im Nil zum Beispiel verkehrten inzwischen so viele Heteros wie Queere, das zeige doch, dass „Schwulsein jetzt gesellschaftsfähig ist“.
Zum Anbandeln unter Gleichgesinnten könne man ja in die Deutsche Eiche oder ins Edelheiss, die Lesben ins Rendezvous. Wobei heute „das Internet immer dabei“ ist, wie Neuherz‘ Ehemann Engelbert Gillitschka (59) einwirft. „Man geht in eine Bar im Viertel und sieht dann online, wer in der Nähe ist und zu einem passt.“
Sorgen macht den Bewohnern der Rechtsruck in der Bevölkerung. „Es gibt Feindseligkeiten in der Tram, Übergriffe auf der Straße, Ablehnung“, sagt Zuber. „Dabei war das, was die heute 60-, 70- und 80-Jährigen erkämpft haben, ein Segen. Ein Licht am Ende des Tunnels. Jetzt wird es wieder dunkler. Gerade für Jugendliche ist das nicht einfach, glaube ich.“
Was beide Männer zudem bedrückt, ist der Bruch zwischen jungen und reiferen Queeren. Neuherz fühlt sich überrollt von der allgegenwärtigen Hipster- und Drag-Mode. „Ich habe lieber Schwule, denen man es nicht so ansieht.“ Zuber findet es „schade, dass so viele aus der jüngeren Generation sich mit Kleinigkeiten und Wortklaubereien aufhalten. In zahlreichen Ländern werden Schwule offen verurteilt und umgebracht, nicht zu sprechen von riesigen politischen Spannungen und Umweltfragen.“ Die Welt habe wichtigere Probleme als das Gendern.
Aber in München gibt der Glockenbach Geborgenheit. „Es herrscht immer noch eine positive Stimmung hier, an der allen viel liegt“, sagt Zuber. „Hier fühle ich mich sicher. Hier bin ich zu Hause.“ ISABEL WINKLBAUER
CSD 2024
Noch bis Sonntag feiern Münchens Schwule, Lesben, Transsexuelle, Nicht-Binäre und überhaupt alle Queeren die „Pride Weeks“ – sie zeigen alle zusammen ihr Anderssein mit fantasievollen Kostümen, Musik, Partys, Kunst sowie Info- und Diskussionsveranstaltungen. Krönender Abschluss ist die morgige Polit-Parade zum Christopher Street Day. Das ganze Programm findet sich im Internet unter www.csdmuenchen.de.