Tödliche Spannung

von Redaktion

Drei Stromunfälle an Bahnhöfen seit Anfang Juli – Bundespolizei warnt jetzt auch an Schulen

Wolfgang Hauner von der Bundespolizei. © Jens Hartmann

Immer wieder unterschätzen Menschen die Gefahr, die von Hochspannungsleitungen ausgeht.

Trudering, 7. Juli: Ein 19-Jähriger steigt auf einen Kesselwaggon und erleidet einen Stromschlag. Tage später erliegt der junge Mann seinen Verletzungen. © dpa

Die Bundespolizeiinspektion München führt keine Statistik über Stromunfälle mit Oberleitungen. Aber Sprecher Wolfgang Hauner weiß, dass im Raum München gerade ungewöhnlich viele Vorfälle passieren: „In den letzten vier Jahren hatten wir einen Fall, jetzt in kürzester Zeit drei.“

4. Juli, Wolfratshausen: Ein 14-Jähriger ist an dem Donnerstagabend mit zwei 16 Jahre alten Spezln am Bahnhof Wolfratshausen unterwegs. Der Jugendliche klettert gegen 20.30 Uhr auf zwei Kesselwagons. Der Kosovare greift in die Oberleitung, bekommt einen Stromschlag und stürzt fünf Meter zu Boden. Ein Begleiter erleidet ebenfalls schwere Verletzungen. Der 14-Jährige wird mit dem Hubschrauber in eine Münchner Klinik geflogen, 80 Prozent seiner Körperoberfläche sind verbrannt. Er wird notoperiert, sein Zustand gilt als stabil.

7. Juli, Trudering: Zwei junge Männer, 19 und 20 Jahre alt, steigen in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf einen Kesselwaggon am Bahnhof Trudering, sie wollen dort oben einen Döner essen. Der 19-Jährige berührt die Oberleitung, 15000 Volt fließen durch seinen Körper. Eine Polizeistreife beobachtet einen Spannungsbogen, dann hören die Beamten Schreie. Als sie ankommen, liegt der Mann leblos auf dem Waggon. Der 20-Jährige, der zunächst vom Kesselwagen gesprungen war, war wieder hinaufgeklettert, um den Freund zu reanimieren. Die Polizei lässt schnellstmöglich den Strom abschalten, damit Rettungskräfte den 19-Jährigen vom Waggon holen können. 70 Prozent seines Körpers sind verbrannt. Einige Tage später stirbt er schließlich in der Klinik.

13. Juli, Feldkirchen: Ein 15-Jähriger ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag mit zwei Freundinnen auf dem Heimweg vom Volksfest in Poing. Die Polizei vermutet, dass er alkoholisiert ist, als er am Bahnhof Feldkirchen auf einen Kesselwagen steigt, „um von diesem herunterzuurinieren“. Er erleidet einen Stromschlag, stürzt vom Waggon. Er ist nicht ansprechbar, aber stabil.

Wenn 15 000 Volt einen Menschen treffen, fließt der Strom laut Hauner vom Kopf oder Arm zunächst durch den ganzen Körper und tritt dann an den Füßen oder am Hintern wieder aus, sagt Hauner. Eine gewaltige Belastung, die sich oft erst später äußert: „Es kommt vor, dass die Verletzten erst einmal wieder fit sind, aber nach vier Wochen versagen die Organe.“

Warum gehen in letzter Zeit so viele junge Menschen das Risiko ein? Als kürzlich eine 12-Jährige in Nordrhein-Westfalen auf einem Güterbahnhof einen lebensgefährlichen Stromschlag erlitt, war das eine Mutprobe – das Mädchen wollte ein Handyvideo für die Plattform TikTok drehen. Dass das auch bei den Fällen in und um München der Hintergrund war, schließt Hauner aus: „Wir haben keine Hinweise gefunden.“

Die Bundespolizei warnt: Auch ohne direkten Kontakt zur Oberleitung kann ein Lichtbogen überspringen – und zwar über eine Distanz von etwa eineinhalb Metern. Besonders gefährlich ist feuchtes, nasses Wetter, weil der Lichtbogen dann noch leichter überspringt. Hauner: „Der einzige Tipp, den ich gebe: Wegbleiben!“ Und Begleitern von Uneinsichtigen rät er: „Unbedingt davon abhalten, auf einen Waggon zu klettern!“ Die Bundespolizei hat mit der Bahn Besichtigungstermine der Unglücksorte vereinbart. Bahnhöfe sind selten komplett umzäunt, dafür seien die Anlagen zu groß. Außerdem hat die Bundespolizei an alle Schulen geschrieben: Die Lehrer sollen vor den Sommerferien verstärkt aufklären.
CARINA ZIMNIOK

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