Pilgern zum Hightech-Heiligen

von Redaktion

Carlo Acutis, 2006 gestorbener Teenager, wird demnächst heiliggesprochen. © S. Pozzolo

Hunderte ließen sich mit der Herz-Reliquie des Cyber-Apostels segnen. Bis gestern war sie in der Heilig-Geist-Kirche. © Christoph Renzikowski, Markus Götzfried (3)

Ein Satz von Carlo Acutis wird auf alle Fälle bleiben: „Die Eucharistie ist meine Autobahn in den Himmel.“ Das hat der sogenannte Influencer Gottes gesagt – und so zitierte ihn gestern auch eine Katholikin in der Heilig-Geist-Kirche am Viktualienmarkt. Hier fand in der Früh ein Gottesdienst statt. Und Acutis, der 2006 im Alter von 15 Jahren verstorben war, war ganz physisch anwesend. Genauer gesagt: sein Herz, das derzeit als Reliquie durch Europa unterwegs ist. Die Katholikin sagt: „Er hat die ganze Nächstenliebe vorgelebt, die Armen beschenkt und kann vor allem für die Jugendlichen ein Vorbild sein.“

Carlo Acutis war ein tief religiöser italienischer Jugendlicher, der im Internet andere vom christlichen Glauben überzeugt hat. Der Bub, der an Leukämie verstorben war, wurde unter anderem dafür bekannt, sogenannte eucharistische Wunder auf einer Website zu katalogisieren.

Ihm selbst werden zwei Wunder zugesprochen – mindestens zwei sind auch für eine Heiligsprechung nötig, die der Vatikan am 1. Juli denn auch prompt bekannt gab. Selig ist Acutis schon seit 2020. Als Wunder wurde angesehen, dass einmal ein brasilianischer Junge von einer Bauchspeicheldrüsenkrankheit geheilt wurde, nachdem er zuvor die Reliquie des Carlo Acutis berührt hatte. Als weiteres Wunder wurde von Papst Franziskus eine Begebenheit in Florenz anerkannt: Eine 21-jährige Frau war mit einer schweren Kopfverletzung ins Krankenhaus gekommen. Nachdem die Mutter der Frau an Acutis‘ Grab gebetet hatte, wurde die Patientin gesund.

Das tote Herz des Teenagers ist derzeit auf Tournee in Deutschland, den Niederlanden und Belgien – und stößt auf reges Interesse. Am Sonntagabend wollten mehr als 500 Menschen in der Heilig-Geist-Kirche die in einer Art Monstranz konservierte Reliquie des ersten seliggesprochenen Millennials sehen. Viele ließen sich nach der Messfeier damit segnen. Gestern zog das Herz dann weiter nach Kloster Weltenburg. Begleitet wird das Herz vom Franziskanermönch Marco Gaballo. Er ist Rektor der Kirche in Assisi, in der Acutis in einem Glasschrein beerdigt liegt – in Turnschuhen und Trainingsjacke.

Die ungewöhnliche Tournee zeigt: Reliquienkult funktioniert auch noch in der Postmoderne. Weil es offenbar ein religiöses Bedürfnis gibt, mit Heiligen in einen unmittelbaren sinnlichen Kontakt zu kommen, von ihnen berührt zu werden, wie es der Passauer Religionspädagoge Hans Mendl ausdrückt. Er spricht in Anlehnung an eine biblische Erzählung von „Thomas-Gläubigkeit“. Ein Jünger dieses Namens ließ sich erst von der Auferstehung überzeugen, als er nach Ostern seinen Finger in die Wunden Jesu legen durfte.

Reliquien auf Reisen sind eine eher junge Zeiterscheinung. Zuletzt war in Deutschland 2022/2023 der Schrein der heiligen Therese von Lisieux unterwegs, auch sie machte Station in München. Im Herbst treten die in Würzburg aufbewahrten Häupter der Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan einen Kurztrip in ihre irische Heimat an. Das Herz von Carlo Acutis war vergangenen Sommer beim Weltjugendtag in Lissabon. Mendl sieht in dieser Mobilität ein Phänomen der Globalisierung. Etwa nach Art von Museen, die Leihgaben von weither ordern, um ihre Ausstellungen aufzuwerten.

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