NEUE SERIE

Unsere schönsten Wiesn-Momente

von Redaktion

Heute: Wirt Schottenhamel hatte als Bub einen Logenplatz beim Anzapfen

Die Wirte Christian (li.) und Michael F. Schottenhamel nach dem Anstich in ihrem Zelt. © Schottenhamel

OB Hans-Jochen Vogel zapft ein Fass an. Darauf: Christian und Angela Schottenhamel. © reproarchiv

Vorfreude pur: Am 21. September beginnt das Oktoberfest! Darauf möchten wir Sie, liebe Leser, einstimmen: Wir verlosen mit den Wirtinnen und Wirten der großen Zelte sowie der Oidn Wiesn je 100 Mass und 100 halbe Hendl. Für unsere große Wiesn-Serie haben wir die Wirte besucht, die von ihren schönsten Erinnerungen erzählen – von süßen Kindheits-Anekdoten über Pannen bis hin zum Besuch von Promis, sogar eines Präsidenten! In der ersten Folge berichtet Christian Schottenhamel, wie er die Anzapf-Samstage aus einer besonderen Perspektive miterlebt hat: als Kind oben auf dem Fass! So bekam er hautnah mit, wie mancher Bürgermeister so seine Probleme hatte.

Christian Schottenhamel (61) hat schon zig Wiesn-Anstriche hautnah miterlebt – doch einer blieb ihm ganz besonders in Erinnerung. Es war kein normaler Anstich, denn es passierte eine Panne, ein kleines Zapf-Unglück sozusagen. Der damalige Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) hatte im Jahr 1973 eigentlich zunächst alles richtig gemacht: Drei Schläge und das Bier floss. Doch das Gebräu landete nur bedingt in dem dafür vorgesehenen Steinkrug. Beim Zuprosten fiel auf: Der Krug hatte ein Loch in der Bodenplatte. „Das Bier floss einfach unten wieder raus“, erinnert sich Schottenhamel. Schnell wurde dem OB ein neuer, heiler Krug ohne Loch gereicht.

Es war nicht der einzige Anzapf-Fauxpas, den der Wirt der Schottenhamel-Festhalle in seinem Leben selbst mitbekam. Schon als Kind saß er mit seinem Cousin Michael F. Schottenhamel und seiner Schwester Angela oben auf dem Fassl, als Oberbürgermeister wie Hans-Jochen Vogel (SPD) direkt unter ihnen das Fass anzapften. „Da war man als Kind natürlich wahnsinnig aufgeregt, wir hatten ja die Premium-Plätze – Loge sozusagen“, erinnert sich Christian Schottenhamel.

Auch bei Hans-Jochen Vogel lief das Ritual aus dem Ruder – und das ausgerechnet bei seinem letzten Akt auf der Wiesn. Bei seinem finalen Anstich als Oberbürgermeister im Jahr 1971 passierte es: Bei seinem vierten Schlag platzte das Bier urplötzlich aus dem Fass, spritzte Vogel und andere Zuschauer rundherum voll. Die Anzapfbox stand unter Bier!

Vogel ist nur ein OB von vielen, die bei Schottenhamels schon den Schlegel geschwungen haben. Den Grundstein für die Tradition legte OB Thomas Wimmer (SPD) im Jahr 1950. Übrigens: Er hält bis heute den Rekord für die meisten Schläge – 17 bis 19 soll er gebraucht haben. Angeblich wegen seiner eigenwilligen Art, den Schlegel zu halten, die viele auf seinen ursprünglichen Beruf als Schreiner zurückführen. Als Wimmer 1960 aufhörte, war unklar, ob die Tradition überhaupt weitergeht. Nur eine Abstimmung unter Zeitungslesern führte dazu, dass Hans-Jochen Vogel das Anzapfen fortführte – und dann schoss ihm doch glatt bei seiner letzten Gala das Bier entgegen.

Fast noch schlimmer traf es jedoch Erich Kiesl (CSU): „Vor lauter Aufregung hat er das ,O´zapft is‘ vergessen. Die Münchner nahmen ihm das übel“, erinnert sich Schottenhamel, der im Jahr 1978 dabei war. Im Folgejahr wurde es nur bedingt besser: „Izapt os“, brüllte Kiesl versehentlich. Nur zwei Jahre später brach es dann nach dem Anzapfen aus ihm heraus: „O`batzt is.“ Die Bierhalle soll gejohlt haben.

Später wurde das Anzapfen professioneller. Zuerst stellte Christian Ude (SPD) einen Rekord mit nur zwei Schlägen auf, den er in den Folgejahren wiederholte. Auch Dieter Reiter gelang es in seinem zweiten Wiesn-Jahr mit nur zwei Schlägen.

Für Christian Schottenhamel bleibt nach all den Jahren der Anstich immer noch etwas ganz Besonderes. Routine wird es wohl nie, es bleibt immer ein Zittern, ob alles klappt. Wie damals, als das Bierfass erst zehn Minuten vor dem Anzapfen angeliefert wurde …

Der emotionalste Augenblick aber war für Christian Schottenhamel wohl das erste Anzapfen nach Corona vor zwei Jahren: „Wir wussten ja lange gar nicht, ob wir jemals wieder mit dem weitermachen können, für das wir immer gelebt haben.“ Die Nervosität stieg – und dann: Dieter Reiter eröffnete mit soliden drei Schlägen die erste Wiesn nach Corona. Und Schottenhamel wusste: „Jetzt beginnen wieder die harten, aber wunderschönen Wochen.“ Wie früher.
JULIAN LIMMER

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