Digitaler Unterricht? Wie viel Sinn der Einsatz von Tablets in der Schule macht, da gehen die Meinungen auseinander. © Dittrich/dpa
Wenn morgen das neue Schuljahr beginnt, dann bringt das auch eine Technik-Revolution mit sich. Denn: Für viele Schüler gehört ab jetzt ein Tablet verpflichtend zur Schulausrüstung. Also: Bildschirm statt Papier! Je nach Schule gilt die Tablet-Pflicht für ganze Jahrgänge.
Claudia Jerke ist von dieser Entwicklung nicht begeistert. Sie sagt: „Die Noten meiner Tochter haben sich in der iPad-Klasse nicht verbessert.“ Ihre Tochter kommt jetzt in die elfte Klasse des Gymnasiums und nutzt das iPad von Apple bereits seit einem Jahr im Unterricht. Darunter leiden klassische Kenntnisse – „zum Beispiel, wie ein Buch aufgebaut ist oder was ein Literaturverzeichnis ist“. Und günstig ist die Gaudi auch nicht gerade.
Das große Ziel: Tablets für alle bis zum Jahr 2028
Christian Löhlein ist anderer Meinung. Der Lehrer für Deutsch und Geschichte arbeitet seit sieben Jahren mit dem iPad und ist begeistert. „Gerade die schüchternen Schüler, die sich sonst nur melden, wenn sie aufs Klo müssen, kann ich damit abholen. Sie überwinden ihre Barriere, sich auszudrücken, weil sie das beispielsweise auch in Filmen oder Podcasts machen können. In meiner Klasse haben sich die Leistungen enorm verbessert.“ Vor allem die Kreativität, die das iPad freisetzt, hat ihn überrascht.
Bis 2028 möchte der Freistaat Bayern alle Kinder an weiterführenden Schulen mit Tablets ausstatten. Dafür genehmigte der Landtag 300 Millionen Euro. Der Vorstoß ist wissenschaftlich umstritten. Der Augsburger Pädagogik-Professor Klaus Zierer ist etwa kritisch. Dass schon bald alle Kinder ab der fünften Klasse mit mobilen Endgeräten ausgestattet werden sollen, werde die Lernleistungen nicht verbessern, sagt er – und verweist auf Studien. Stattdessen werde das Ablenkungspotenzial erhöht. Es sei naiv, Digitalität als Heilsbringer zu sehen. „Entscheidend ist die Frage der sinnvollen Nutzung – und diese entsteht nicht durch das Verteilen von Technik.“ Länder wie Finnland, Schweden und Italien vollzögen inzwischen eine Rolle rückwärts und verbannten digitale Endgeräte aus den Klassenzimmern.
Der gewinnbringende Einsatz der Tablets hängt zudem davon ab, wie gut die Lehrer damit zurechtkommen. Das bestätigt Löhlein: „Wenn man die Tablets nur dazu nutzt, Youtube-Videos anzuschauen, bringt das natürlich nichts.“ Er selbst hat sich schlau gemacht, wie man die iPads am besten im Unterricht nutzen könnte. Apple bietet dazu auch Foren an.
Viele Eltern sehen die Digitalisierung des Unterrichts eher kritisch und haben Bedenken, dass ihre Kinder nur noch auf den Bildschirm starren. Und: Sie müssen viel Geld investieren. Wenn‘s ein iPad von Apple sein soll (zu dem man auch noch Tastatur und elektronischen Stift kaufen muss), liegt man schon in der günstigsten Variante in der Regel bei rund 800 Euro. Erstattet werden vom Kultusministerium nur 350 Euro. Löhlein verweist auf die Fördervereine der Schulen, doch die Gelder dort dürften nicht für alle ärmeren Haushalte reichen.
Wächst die Abhängigkeit vom US-Konzern?
Und: Innerhalb der Klassen braucht‘s eigentlich einheitliche Geräte. Die Apps funktionieren bei Apple anders als bei Android-Geräten, daher muss sich die Klasse wohl für ein System entscheiden. Meist wählen die Schulen Apple und fördern so die Abhängigkeit von der Technik des US-Konzerns.
Jerkes Tochter besitzt außerdem ein iPhone und hat – wie ihre Mitschüler auch – private Apps auf ihrem iPad installiert. Das sorgt nach Meinung von Pädagogik-Professor Zierer für Ablenkungspotenzial im Unterricht: „Technik für sich alleine genommen und ohne die Einbettung in ein pädagogisches Gesamtkonzept erreicht nur eine geringe Wirksamkeit.“
GABRIELE WINTER