„Er sah hin, wo andere wegsahen“

von Redaktion

In Harlaching erinnert eine Stele an den NS-Widerstandskämpfer Alexander Schmorell

Die Schüler Valerie Kehl und Liam Cumming an dem Erinnerungszeichen.

Widerstandskämpfer Alexander Schmorell. © privat

„Ein tröstliches Zeichen:“ Markus Schmorell ist der Neffe von Alexander Schmorell. Bei einer Gedenkveranstaltung im Harlachinger Einstein-Gymnasium wurde an den Widerstandskämpfer und die Mitglieder der Weißen Rose erinnert. © Yannick Thedens (2)

In der Gemeinde Bergkirchen im Landkreis Dachau starb im März 2023 eine gewisse Eva Hönigschmid. Sie wurde biblische 103 Jahre alt. Hönigschmid war als Studentin während der NS-Diktatur im Dritten Reich mit Mitgliedern der Weißen Rose befreundet, vor allem mit Alexander Schmorell. Vor einigen Jahren schilderte die Zeitzeugin in einem Gespräch mit unserer Zeitung ihre Eindrücke von den Widerstandskämpfern: „Wissen Sie, das waren prachtvolle Menschen. Die Vorstellung, wie sie ums Leben kamen, ist entsetzlich.“ 1943 wurden Schmorell, Sophie Scholl, Hans Scholl, Christoph Probst, Kurt Huber und Willi Graf per Fallbeil hingerichtet.

Mehr als 80 Jahre später findet im Albert-Einstein-Gymnasium in Harlaching eine Gedenkveranstaltung für Alexander Schmorell statt. Der Widerstandskämpfer hatte diese Schule besucht. Unter anderem steht sein Neffe Markus Schmorell (73) am Rednerpult. Er findet ergreifende Worte, und irgendwann – am Ende seiner Rede – sagt auch er: „Das Tragische ist, dass sich die Mitglieder der Weißen Rose nicht weiterentwickeln konnten. Was wären das für Menschen geworden?“

Ihr Vermächtnis aber, ihr Einsatz für die Menschenwürde, für ein selbstbestimmtes Leben und für die Demokratie lebt weit über die Grenzen Münchens hinaus weiter. Seit Mitte dieser Woche auch mit einem Erinnerungszeichen für Alexander Schmorell in der Menterschwaige. Dort ist er aufgewachsen, dort wurden heimlich auch die ersten Flugblätter der Weißen Rose verfasst.

Geboren wurde Schmorell am 16. September 1917 im südrussischen Orenburg. Er wuchs zweisprachig auf. „Alexander hatte ein schwärmerisches Bild von Russland“, erzählt sein Neffe. Den Schmorellplatz in dem Villenviertel gibt es schon seit 1947. Dort erinnert nun auch die Stele an den Widerstandskämpfer, rund 100 Meter von seinem ehemaligen Wohnhaus entfernt. „Wenn auch ein kleines Zeichen, so hat es doch etwas Tröstliches für mich“, sagt Markus Schmorell. Bürger könnten hier innehalten und über den Geist der Weißen Rose nachdenken: „Sie haben die selbstbestimmte Entscheidung getroffen, die menschenverachtende Ideologie der Nazis, deren Verbrechen und insbesondere den Massenmord an den Juden anzuprangern.“

Eine Entscheidung, mit der sie ihren Tod in Kauf nahmen. Die Worte „mutig“ und „heldenhaft“ tauchen in den Reden an diesem Nachmittag im Einstein-Gymnasium daher immer wieder auf. Außer Markus Schmorell sind viele weitere Verwandte der von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfer anwesend. Ludwig Spaenle (CSU), Beauftragter der Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, sagt: „In einer Zeit, da sich der Ungeist wieder politisch Bahn bricht, ist diese Erinnerung wichtiger denn je.“ Grünen-Politiker Sebastian Weisenburger als Vertreter der Stadt erklärt: „Schmorell sah hin, wo andere wegsahen – und schwieg nicht.“

Diesen Faden nehmen auch Valerie Kehl und Liam Cumming auf. Sie sind Chefredakteure der Schülerzeitung des Einstein-Gymnasiums, haben intensiv recherchiert und tragen an diesem Tag eine weiße Rose am Herzen. Die unantastbare Würde des Menschen sei für die Mitglieder der Weißen Rose an oberster Stelle gestanden und deren humanistisches Weltbild eine Antwort auf die unmenschlichen Praktiken der Nazis gewesen. „Ihre gelebten Werte sind die Basis für unsere heutige freiheitliche Grundordnung und Demokratie“, sagen die Gymnasiasten. Die Flugblätter sehen sie als Mahnmal, „wofür die Mitglieder der Weißen Rose gestorben sind“. Und: „Ihre Botschaft wird für immer weiterleben.“

Alexander Schmorell schrieb in seinem letzten Brief an seine Eltern: „… ich gehe hinüber in dem Bewusstsein, meiner tiefen Überzeugung und der Wahrheit gedient zu haben. Dies alles lässt mich mit ruhigem Gewissen der nahen Todesstunde entgegensehen…“ Am 13. Juli 1943 wurde er hingerichtet.
KLAUS VICK

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