Der junge Christian Ude, zuständig für die SPD-Post, an der Schreibmaschine. © Klaus Haag
Der OB gibt den Ton an: Christian Ude an der Sitzungsglocke im Rathaus. © Klaus Haag
An der Münchner Freiheit trank er früher immer Kaffee mit Helmut Fischer – heute sitzt dort dessen Denkmal.
Projekt für die Zukunft Schwabings: Ude rettete jüngst den Laden, die berühmte Lach- und Schießgesellschaft.
Stationen seines Lebens: Im „Pad Thai“ lernte Christian Ude beim Tanzen auf einer Faschingsfeier seine Frau lieben. © Michaela Stache (3)
An jeder Ecke eine Geschichte. Zu jedem Haus eine Anekdote. Christian Ude kennt Schwabing wie niemand sonst. Und jeder Schwabinger kennt ihn. Beim Spaziergang grüßt jeder Passant. Der Alt-OB (SPD, 1993 bis 2014) grüßt gern zurück. Am heutigen Samstag feiert Ude 77. Geburtstag, er wird zur Schwabinger 77. Aus diesem Anlass nimmt er unseren Reporter mit auf eine Runde durch das Viertel, in dem er sein ganzes Leben verbracht hat.
Von Udes Wohnung am Kaiserplatz sind es wenige Schritte zum Thai-Restaurant Pad Thai – dem Beginn seiner großen Liebe zu Ehefrau Edith von Welser-Ude (85). Ude: „Hier haben wir uns lieben gelernt, damals hieß es noch ,Bunter Vogel im Herzogstand‘ und war eine richtige Boazn. Es war am 4. März 1973. Es gab eine große Faschingsparty mit dem Motto ,Französische Revolution‘. Ich ging als Robespierre, sie als hingerichtete Adelige mit Strick um den Hals. Ich fand das toll. Wir tanzten zu ,Twist Again‘ und den Beatles. Auch politisch ist es ein wichtiger Ort für mich: Hier wurde ich 1970 zum SPD-Ortsvorsitzenden gewählt. Wir feiern deshalb hier meinen Geburtstag mit der Familie.“
Richtung Osten. Es herbstelt. Ude geht mit rotem Schal und schwarzem Mantel übern Gehsteig. Wieder grüßt einer. „Immer mehr wollen sogar Selfies mit mir“, sagt er. Man merkt: Es gefällt ihm schon. An der Bauerstraße 9 sind wir tief in Udes Vergangenheit – an seinem Geburtshaus.
„Hier wohnte ich, bis ich 20 war, mit meinen Eltern ganz oben rechts unterm Dach“, sagt Ude. Nach wenigen Monaten in der Maxvorstadt wohnte er dann links unten im Haus. „Eine WG mit drei Männern, zwölf Hauskatzen und nächtlichem Damenbesuch.“ Einer seiner Mitbewohner lebt immer noch hier, ebenso eine berühmte Regisseurin.
Auf dem Weg zur Münchner Freiheit möchte Ude lieber Auto fahren, es regnet. Als junger Jurastudent fuhr er mit einem giftgelben Käfer durchs Viertel. „Ich hatte ihn von der Bundespost ersteigert, für 300 Mark.“ Ein rechtes Glump war’s: „Einmal flog die Beifahrertür in einer Kurve auf die Straße.“ Die Häuser ziehen vorbei, „ich könnte zu jedem dritten etwas erzählen“, sagt Ude. „Ich habe als Mietrechts-Anwalt in fast allen die Leute gegen die Hausbesitzer vertreten.“
Vorm Café Münchner Freiheit hockt Udes alter Freund Helmut Fischer († 1997) zwischen leeren, laubbedeckten Tischen – freilich als Denkmal. Ude bestellt sich seinen Kaffee, hockt sich dazu. „Hier trafen wir uns in den Neunzigern samstags zum Frühstück. Kaffee und pochiertes Ei. Es ging um 11 Uhr los, und Helmut holte uns oft vorher ab. Dann war er sich sicher, dass Christian und Edith pünktlich kommen würden.“ Oft damals mit dabei: Regie-Legende Helmut Dietl († 2015) und Bruno Jonas. Die Sitzungen gingen bis in den Nachmittag, versteht sich. Seine schlimmsten Kater holte sich Ude woanders: „Bei den eigenen Festen. Da ist man ja immer der Letzte.“
77 Jahre in Schwabing, seit 1994 immer mal wieder ein paar Wochen im Ferienhaus auf Mykonos. „Ich habe mich immer geärgert, dass ich nicht in Paris gelebt habe, an der Sorbonne studieren. Und in Wien hätte ich auch gerne ein paar Jahre verbracht.“ Schwabing ließ ihn aber nie gehen, es gab so viel zu tun. Und gibt, auch heute noch. Zum Beispiel die Lach- und Schieß retten. Nach der Insolvenz 2023 brachte Ude mit Christian Schultz und Uli Spandau das Kabarett wieder auf die Beine. „Am 11. November ist Eröffnung. Wir haben eine mehrjährige Nutzungsvereinbarung für das Ensemble, das dreimal die Woche spielt. Tagsüber ist Gastro, auch abends, mit anspruchsvoller Küche.“ Kultur-Freak Ude will nicht nur ein Stück seiner Vergangenheit bewahren, sondern weiter eine Rolle in der Zukunft spielen: „Der Bedarf an politischem und sozialkritischem Kabarett ist so groß wie nie. Das darf nicht verschwinden.“
In 77 Jahren hat Ude zwar schon alles geschenkt bekommen. Von seiner Tochter gibt’s aber trotzdem was, „einen neuen Mülleimer für die Küche, weil der alte so klappert“. Von einer befreundeten Künstlerin ein Porträt – „das letzte stammt noch aus den 90er-Jahren“. Zum Geburtstag wünscht sich Ude aber nur eins: „Spaß“. Natürlich in Schwabing. So wie immer.
THOMAS GAUTIER