In der Wohnanlage an der Garmischer Straße fühlen sich die jungen Frauen im Erdgeschoss zunehmend unsicher, seit ein Spanner dort herumstreift. © Yannick Thedens
Angefangen hat alles im Juni 2023. Damals hörte Helene (31) zum ersten Mal von einem Spanner, der in ihrer Nachbarschaft sein Unwesen treibt: „Die Frau über mir hatte mir eine Sprachnachricht geschickt. Sie war völlig aufgelöst und hat erzählt, dass sie gerade beobachtet hat, wie sich ein Mann vor meiner Terrassentür selbst befriedigt hat.“ Helene, die am Westpark lebt, sprach mit Nachbarin Conni (31). Die erzählte, dass auch sie bereits Bekanntschaft mit dem Mann gemacht hatte – genau wie eine weitere Anwohnerin.
Kurz darauf hatte dann Conni selbst ihr erstes Erlebnis mit dem Stalker. Sie saß mit einem Freund auf der Terrasse und bemerkte einen Mann hinter einem Strauch. „Ich dachte erst, der pinkelt – aber er stand da bestimmt 15 Minuten. Irgendwann dachte ich: Jetzt reicht’s! Ich hab ihn angesprochen.“ Der Mann lief weg.
In der Anlage am Westpark leben mehrere junge Frauen in Erdgeschoss-Wohnungen. Fest eingebaute Rollos gibt es nicht, aber alle haben spätestens seit diesem Herbst blickdichte Vorhänge. An einem Sonntag im Juli 2024 hörte Helene nämlich gegen 23.30 Uhr Schritte auf ihrer Terrasse. Es war sehr warm, die Tür gekippt, der Vorhang einen Spalt offen.
„Ich zog den Vorhang zur Seite und habe ihm direkt ins Gesicht geblickt. Er stand keine zehn Zentimeter von meinem Fenster entfernt! Ich war sehr froh, dass mein Freund an dem Abend bei mir war.“ Helene ließ einen Schrei los und versuchte nach dem ersten Schock herauszufinden, wohin sich der Spanner aus dem Staub gemacht hatte. „Ich bin vorne raus und sah gerade noch, wie er mit einem gemieteten E-Scooter wegfuhr.“
Am nächsten Tag erstattete sie Anzeige. „Das ging, weil ich eine Wohnung nach hinten raus habe und er auf meiner Terrasse stand. Deshalb war es Hausfriedensbruch.“ Mehr aber auch nicht. Von der Polizei heißt es: Es „wurde ein Hausfriedensbruch angezeigt, da nach jetzigem Kenntnisstand keine weiteren Tathandlungen außer der unrechtmäßigen Betretung des Gartens vorlagen“.
Eine Nachfrage bei Scooter-Verleihfirmen sei aus rechtlichen Gründen nicht ohne Weiteres möglich gewesen, weil die Zeugin nicht zweifelsfrei habe sagen können, ob der Mann auf dem Roller auch der unbekannte Täter war. Und: Weitere Fahndungsmaßnahmen seien aufgrund der nachträglichen Anzeigenerstattung nicht möglich gewesen.
Nachbarin Conni, deren Schlafzimmer zur Straße geht, konnte nicht einmal Anzeige erstatten. Sie berichtet, Polizisten hätten ihr gesagt, auf der Straße könne jeder stehen – sie könne ja umziehen oder sich einen Hund zulegen: „Ich war so wütend!“
Auch Nachbarin Anita wurde vom Spanner belästigt. „Mein Bett steht direkt unterm Fenster zum Innenhof. Im Sommer kippe ich das Fenster, und an dem Tag hatte ich auch die Vorhänge offen, weil es sehr heiß war. Ich hab schlecht geschlafen, hörte schon die Vögel zwitschern. Da wollte ich gucken, ob es schon hell ist, schlage die Augen auf und schaue direkt in die Augen eines fremden Mannes. Wie lange er da schon stand, weiß ich nicht. Aus dem Halbschlaf heraus hatte ich einen Adrenalinschock.“
Die 24-Jährige sprang auf, riss das Fenster auf. „In dieser Sekunde ist er losgerannt.“ Anita rief die Polizei, die auch gleich kam. Die Polizeiwache 15 ist gleich gegenüber: „Einer der Polizisten fragte mich, ob ich sicher sei, dass ich nicht geträumt habe.“ Anita war wenig später noch mal bei der Polizei, weil sie den Mann in der Nähe der Wohnanlage auf einem E-Roller gesehen hatte.
Die Polizei betont, sie nehme Meldungen wie diese sehr ernst und gehe ihnen nach. In Anitas Fall habe man bei der E-Scooter-Verleihfirma nachgefragt, aber die Ermittlungen hätten letztlich zu keinem Ergebnis geführt. Die Frauen in der Wohnanlage wundert das. Auch bei der Täterbeschreibung waren sich Helene, Conni und Anita einig. Für alle drei hat sich das Leben durch den Spanner verändert. „Gerade am Anfang habe ich sehr viel schlechter geschlafen“, berichtet Helene. Anita meint: „Wenn man weiß, jemand kommt damit durch und man selbst ist komplett vulnerabel und machtlos, verstärkt das die Unsicherheit enorm.“
GABRIELE WINTER