„Das Böse hat gewonnen“

von Redaktion

Ermittlerin ist schockiert: Telefonbetrüger sind wieder frei

Das Ergebnis der Razzia: Die Ermittler fanden Waffen, Geld und Telefone.

Festnahme: 2022 wurden weitere 30 Betrüger gefasst. © Türkische Polizei, Sigi Jantz

Diese Nachricht war eine Erleichterung – vor allem für Senioren in München. 2020 wurden 36 Telefonbetrüger in der Türkei festgenommen, die als falsche Polizisten Millionenbeute gemacht haben. Die Polizei am Bosporus ließ auch danach immer wieder Callcenter hochgehen, auch Drahtzieher der Abzocke wurden verhaftet. Im Herbst 2022 kam es dann zu ersten Verurteilungen mit langen Haftstrafen. Die Beute sollte zurück an die Opfer gehen. Dass bis heute kein Cent geflossen ist, hat einen Grund: Die Callcenterbetrüger haben das beschlagnahmte Geld selbst zurückbekommen. Und – noch unfassbarer – sie sind auf freiem Fuß!

Eine traurige Wahrheit, die das Wochenmagazin „Die Zeit“ aufgedeckt hat und die das Münchner Präsidium bestätigt. „Es ist sehr, sehr frustrierend für uns“, so Désirée Schelshorn. Die Polizistin jagt seit 2018 Betrüger. Bevor es für diesen Deliktbereich ein eigenes Kommissariat gab, kämpfte die AG Phänomene gegen die professionelle Senioren-Abzocke. Zusammen mit dem damaligen Leiter Hans-Peter Chloupek und ihrem Team war Schelshorn erfolgreich. Die Münchner Ermittler unterstützten die Kollegen in der Türkei in enger Zusammenarbeit. Jetzt gibt es Videos auf TikTok, in denen sich die verurteilten Betrüger als freie Männer über die Polizei lustig machen und eine klare Botschaft nach Deutschland schicken: „Die Rentner, die sollen lieber in Deckung gehen.“

Eine Drohung, die ernst gemeint ist. Wie Ermittlerin Schelshorn bestätigt, gibt es in München wieder deutlich mehr Fälle mit falschen Polizisten. Nach den Verhaftungen war es ruhig geworden. Polnische Familienclans übernahmen mit der Masche Schockanruf das Feld. Jetzt gibt es wieder vermehrt Anrufe, in denen falsche Polizisten vor Einbrechern in der Nachbarschaft warnen und ihren Opfern „zur Sicherheit“ Bargeld und Gold abnehmen. Zweites Standbein der -Gangster ist die Masche „falscher Bankangestellter“. „Auch hier steigen die Fallzahlen an“, erklärt Schelshorn. Für sie war die Nachricht über die Freilassung der Betrüger bitter. „Ich dachte, dass das nicht wahr sein kann. Dass das Böse gewonnen hat.“

Die Kehrtwende hat sich für die Ermittler schon angedeutet, als der Berufungsprozess angekündigt wurde. Die ganze Tragik der Entwicklung hat „Zeit“-Autorin Cornelia Uebel in der Türkei herausgefunden. Wie sie schreibt, wurde der Knallhart-Richter, der die Betrüger zu 1128 Jahren Haft und 23 Millionen Euro Strafe verurteilt hat, versetzt. Zuvor sollen ihm laut „Zeit“ fünf Millionen Euro Bestechungsgeld angeboten worden sein. Als er ablehnte, kam ein neuer Richter. Der stammt aus Mardin im Südosten der Türkei – wie viele Mitglieder der Betrügerbanden selbst. Er setzte die Inhaftierung während des laufenden Berufungsverfahrens aus und gab Teile des beschlagnahmten Vermögens über 136 Millionen Euro wieder frei.

In Höchstzeiten machen Betrüger mehr als acht Millionen Euro Beute pro Jahr – allein in München. Den Opfern der Izmir-Banden wurde nach der ersten Verurteilung von den türkischen Behörden in Aussicht gestellt, ihr Geld zurückzubekommen. Angesichts der neusten Entwicklungen ist Schelshorn da wenig zuversichtig. „Ich persönlich denke, dass das sehr unwahrscheinlich geworden ist.“ Ihre eigene Zuversicht will die versierte Ermittlerin trotz allem nicht aufgeben. „Das wäre der falsche Weg.“ Sie kämpft weiter gegen die Telefonbetrüger – für das Gute und für die Senioren in München.
NADJA HOFFMANN

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