Die Polizei hat Spezialfahrzeuge aufgefahren, um den bewaffneten Schützen zu stellen. © Matthias Schrader, Privat
Thomas Hampel ist seit November 2020 Präsident der Polizei in München und Chef von 6500 Beamten. © Marcus Schlaf
Großeinsatz am NS-Dokuzentrum in den Morgenstunden des 5. September. © EPD/Klein
Bei Münchens Polizeipräsidenten steht jedes Jahr am 5. September ein wichtiger Termin im Kalender. An diesem Tag nimmt Thomas Hampel an dem Gedenken teil, das es für die Opfer des Olympia-Attentats von 1972 gibt. „Radeln und Erinnern“ ist die Gedenkfahrt überschrieben, die ihren Anfang im Olympia-Park nimmt und zum Flughafen in Fürstenfeldbrück führt, wo das Geiseldrama um die israelische Mannschaft damals sein blutiges Ende genommen hat. Für Thomas Hampel wird die Gedenkfahrt 2024 wohl für immer im Gedächtnis bleiben. Denn ausgerechnet an diesem Tag kommt es in München erneut zu einem Anschlag. Ziele sind das israelische Generalkonsulat und das NS-Gedenkzentrum. Schüsse am Karolinenplatz: Als der Polizeipräsident über den gerade anlaufenden Einsatz informiert wird, stoppt er in Moosach sofort sein Fahrrad. „Das war erst einmal ein Schock und hat mich sehr getroffen“, erklärt er rückblickend im Gespräch mit unserer Zeitung.
Auf den ersten Schrecken folgt dann sofort die Professionalität, die von Münchens Polizeichef erwartet wird. „Man ist angespannt“, beschreibt der 58-Jährige ganz plastisch die ersten Minuten nach der Alarmierung. Für solche Fälle gibt es Ablaufprotokolle, die aktiviert werden. In der Einsatzzentrale im Polizeipräsidium formiert sich ein Führungsstab. Um den Präsidenten dort schnellstmöglich hinzubringen, macht sich sofort ein Auto auf den Weg. Während der Fahrt bekommt Thomas Hampel dann weitere Informationen zur Lage.
Um 9 Uhr ist Emra I., ein 18-jähriger Österreicher aus Neumarkt am Wallersee, schwer bewaffnet losgezogen. Der Bursche mit dem Milchgesicht, der noch bei seinen Eltern wohnt, ist radikaler Islamist und glühender IS-Fanatiker. Mit einem Repetiergewehr aus dem 19. Jahrhundert ballert er auf das NS-Dokuzentrum und das israelische Generalkonsulat. Dass Letzteres am 5. September wegen des Gedenkens an den Olympia-Terror geschlossen ist, hatte der Österreicher anscheinend nicht auf dem Schirm. Videos, die sich im Internet verbreiten, zeigen ihn umherirrend.
Zwölf Minuten nach seinem ersten Schuss ist Emra I. tot: Er hat das Schussgefecht, das er sich mit mehreren Polizisten geliefert hat, nicht überlebt. Diese Nachricht sorgt für ein erstes Aufatmen im Polizeipräsidium. Zum einen, weil die Gefahr gebannt ist. Zum anderen, weil keiner der Polizisten zu Schaden gekommen ist. „Sie sind mit einem großen Eigenrisiko gegen den Täter vorgegangen“, erklärt Hampel. „Dass keinem der Kollegen dabei etwas passiert ist, war das Wichtigste.“ Als dann klar ist, dass es sich um einen Einzeltäter gehandelt hat, gibt es Entwarnung.
Es bleibt dank der Polizei bei einem vereitelten Anschlag. Für Thomas Hampel, der auch beim blutigen OEZ-Attentat 2016 im Dienst war, hat dieser 5. September deshalb einen anderen Schrecken. Dieses Datum wird für München immer mit dem Blutvergießen 1972 verbunden sein. Der Präsident erinnert sich noch gut: Als Sechsjähriger wollte er sich mit seinen Eltern eigentlich Wettkämpfe anschauen. Stattdessen nahm seine Familie an der Gedenkfeier für die Opfer im Olympiastadion teil. Auch diese Erinnerungen bleiben für immer.
NADJA HOFFMANN