Junge Straftäter: Sind die Urteile zu lasch?

von Redaktion

Immer mehr Delikte in und um München: Jetzt diskutieren Experten über die Justiz

Strafverteidiger Adam Ahmed.

Klaus-Peter Jüngst vom Amtsgericht.

Die Zahl der Gewaltdelikte bei Heranwachsenden nimmt zu. Experten stellen sich nun die Frage: Sind die Strafmittel zu wenig abschreckend? © Sigi Jantz (2), Imago, argus

Kriminelle Banden sorgen im Raum München immer mehr für Angst und Schrecken. Doch werden sie auch angemessen bestraft? Das bezweifeln Justiz-Experten mitunter – und verweisen auf aktuelle Zahlen, nach denen selbst Täter mit Anfang 20 rechtlich noch wie Jugendliche behandelt werden. Und somit Urteile erhalten, die per Gesetz gar nicht abschrecken, sondern erzieherisch wirken sollen.

Fakt ist: Zwei von drei Tätern werden in Bayern nach Jugendstrafrecht verurteilt. Laut Statistik sind Gerichte in Bayern im Jahr 2022 bei 4775 der 7065 verurteilten Heranwachsenden (18- bis 20-Jährige) so verfahren. Bayernweit liegt der Anteil bei 67,6 Prozent – in München bei 90,3 Prozent, wie das Justizministerium bestätigt. „In der Anwendung von Jugendstrafrecht auf Heranwachsende gibt es regionale Unterschiede, insbesondere ein gewisses Stadt-Land-Gefälle“, so Sprecherin Andrea Leonhardt. „Worauf diese zurückzuführen sind, lässt sich anhand der statistischen Zahlen nicht abschließend feststellen.“

Beispiel Landgericht München I: 2022 gab es 976 verurteilte Heranwachsende, davon wurden 95 wie Erwachsene verurteilt und 881 wie Jugendliche. Pikant: Bei Heranwachsenden gilt „nach dem Gesetz grundsätzlich Erwachsenenstrafrecht“, sagt Leonhardt. Als Jugendliche dürfen sie nur behandelt werden, wenn zum Beispiel eine Reifeverzögerung vorliegt.

Entscheidend ist das jeweilige Alter zur Tatzeit: So kann also auch ein 22-Jähriger, der vor zwei Jahren einen Raub begangen hat, noch wie ein 16-Jähriger verurteilt werden. „Die Entscheidung, ob Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht bei der Verurteilung von Heranwachsenden zur Anwendung kommt, trifft das zuständige Gericht in richterlicher Unabhängigkeit.“

Gibt es nach Jugendstrafrecht also mildere Strafen? „Es sind andere Ahndungen zu erwarten, weil das Sanktionensystem des Jugendstrafrechts anders strukturiert und vorrangig am Erziehungsgedanken ausgerichtet ist“, sagt Laurent Lafleur, Sprecher des Münchner Oberlandesgerichts. „Aufgrund jugendgerichtlicher Weisung, an sich selbst arbeiten zu müssen, erscheint vielen schwerer, als eine Haftstrafe abzusitzen. Der Wunsch nach einer Verlegung aus dem erzieherisch ausgelegten Jugend- in den Erwachsenenvollzug wird daher nicht selten geäußert“, sagt Klaus-Peter Jüngst, Leiter der Jugendabteilung beim Amtsgericht.

Was sagen Anwälte zum Thema? „Der Ausgang ist schon sehr von der Lebenserfahrung und Einstellung des Richters abhängig, vielleicht viel zu sehr“, kritisiert Strafverteidiger Adam Ahmed. Auf Heranwachsende noch erzieherisch einzuwirken und daher Jugendrecht anzuwenden, „macht absolut Sinn“, sagt er. Jedoch seien die wichtigsten Faktoren zur Beurteilung zu starr: Etwa, dass ein Täter keine abgeschlossene Ausbildung habe oder noch bei seinen Eltern lebe und nicht in einer eigenen Wohnung – so gilt er vor Gericht als Jugendlicher. „Es müsste viel mehr darauf geachtet werden und geklärt werden, ob eine Einwirkung wirklich möglich ist“, fordert Ahmed. Bei einem Heranwachsenden, der nur daher noch keine Ausbildung hat, weil er „konstant rumsandelt und für Tipps und Unterstützungen nicht offen ist“, könne nicht wirklich mehr eingewirkt werden.

Anwältin Nanni Herrmann sagt: „In den meisten Fällen besitzen die 18- bis 21-Jährigen nicht die Reife eines Erwachsenen, weswegen dementsprechend erzieherische Maßnahmen besser sind als eine harte Bestrafung mit anschließender fast unmöglicher Resozialisierung.“ Strafverteidiger Timo Westermann findet: Erwachsenen-Strafen „führen nun mal dazu, dass durch Eintragungen ins Führungszeugnis oder durch die Verhängung von Bewährungsstrafen erträumte Lebenswege schon am Anfang unmöglich gemacht werden“. Dennoch: Über eine Reform des Jugendstrafrechts „sollte man sicherlich nachdenken“, findet Westermann. Um Gerichten mehr Möglichkeiten für angemessene Strafen zu geben – und Tätern „gleichzeitig doch noch eine zweite Chance zu eröffnen“.
ANDREAS THIEME

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