MÜNCHNER FREIHEIT

Agent 80997

von Redaktion

Am Wochenende ging es um die Faschingskostüme und es zeichnet sich ein klarer Trend zu „wieder so wie letztes Jahr“ ab. Mein Sohn wird wie immer das Kostüm als Eisenbahner tragen, das ihm mit drei Jahren zu groß war und mit zehn knapp übern Bauch reicht. Meine Frau und ich werden uns wieder das Flamingo-Kostüm teilen, sie an einem Abend, ich am nächsten. Und meine Tochter geht wieder als Spionin: 90er-Jahre-Sonnenbrille, Hut, Trenchcoat und – warum auch immer – ein Fächer.

Warum Spionin? Ganz der Papa. Ich liebte es, mich stundenlang in der Speisekammer meiner Oma zu verstecken, ich baute aufwendige Alarmanlagen und grub mit Händen und Fußen nach einem Dinosaurierknochen, der sich schließlich als Pferdekopf herausstellte. Und als Spion radelte ich mal stundenlang einer alten Dame hinterher, die mir verdächtig vorkam, bis sie stehen blieb und mir „Schleich di!“ an den Kopf warf. Finde ich rückblickend erst recht verdächtig. Agentensprache kann ich übrigens besonders gut, auch wenn manche behaupten, das sei Nuscheln. Nicht nur in sparsamer Weitergabe von Informationen bin ich unerreicht, auch im Sammeln. So schnappe ich auch ungewollt Informationen auf, die nicht für mich gedacht sind. Einer der schönsten Gesprächsfetzen, die ich von Passanten mal aufschnappte, war „Dynamit im Mietshaus“. Ich frage mich bis heute, um was es in diesem Gespräch ging. Für einen symbolischen Euro wäre ich bereit, diese Zeile einem Münchner Hip-Hopper oder einer Münchner Rapperin zu verkaufen. „Dynamit im Mietshaus, ich hau jetzt einen Beat raus.“ Ok, sagen wir zwei Euro.

Überraschenderweise sorgt auch das Smartphone dafür, dass man mehr von anderen mitbekommt. Gut, die einen glotzen nur rein, die anderen aber sprechen minutenlange Textnachrichten, in der U-Bahn oder auf dem Klo. Und in der Nachbarschaft bleibt eine Frau immer noch 15 Minuten nach Ankunft im Auto sitzen und telefoniert mit Freisprechanlage und ich, draußen, verstehe jedes Wort. Irgendwann stelle ich mich mal mit einem großen Schild vor das Auto: „Man hört übrigens jedes Wort, und auch von mir viele Grüße an Tante Hilda!“

Einen interessanten Fall von unbeabsichtigter Spionage hatte ich auch kürzlich am U-Bahnhof. Ich sperrte mein Fahrrad ab und hörte beim Absperren einem derart banalen Gespräch über Butterbrezn zu, dass ich aufschaute, wer denn da spricht. Es waren Zeugen Jehovas. Bisher hatte ich immer Angst, von ihnen angesprochen zu werden mit „Ja, und wie denken Sie über Psalm 793, und wie kann er ihr Leben retten?“ Jetzt weiß ich, wenn sie das nächste Mal an der Tür klingeln, rede ich einfach über Butterbrezn. Oder vielleicht ist Butterbrezn ein Code-Wort für den nahenden Weltuntergang? Und schon ist Agent 80997 wieder im Einsatz.

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