Die Stadt neben der Stadt

von Redaktion

Europas größte Baustelle – Reportage aus dem neuen Münchner Riesen-Viertel Freiham

Das Gut Freiham gab dem neuen Viertel den Namen. Rafael Hofmann ist dort Betriebsleiter der Wirtschaft „Zum Gustl“.

Bringen Kultur ins Viertel: Das Kulturzentrum Grete (links) und der Jugendarbeiter Erwin Zißelsberger vom Feierwerk.

Neubewohner Philipp Hafner ist begeistert. Er wohnte vorher im Lehel und freut sich über die Weite in Freiham.

Thomas Flierl, Projektleiter bei der Münchner Wohnen, auf dem Dach eines Neubaus am Rande des Bezirks. © Fotos: Yannick Thedens (6)

Wer von oben sehen will, wie die Stadt neben der Stadt aus dem Boden wächst, muss Thomas Flierl (54) durch eine schmale Deckenluke folgen. Er öffnet eine kleine Klappe, zieht eine Leiter nach unten und klettert nach oben. Der Bau-Projektleiter der Münchner Wohnen betritt das Dach eines Neubaus am Rande Freihams, sechs Stockwerke hoch. Er schreitet zum Geländer und schaut auf das neue Stück Stadt. Unter ihm: eine braune Landschaft aus meterhohen Erdhaufen, dazwischen weiße Laster, gelbe Baumaschinen, blaue Container. Dahinter kastenförmige Wohnblöcke, rot, grün, grau. Weiter weg ragt ein 60 Meter hoher Turm in die Höhe. Ein Wohn-Hochhaus im Zentrum des Viertels, das derzeit in den Himmel wächst.

„Auf der grünen Wiese lassen wir ein ganz neues Viertel entstehen“, sagt Flierl. Freiham, die neue Stadt neben der Stadt. Europas größtes Neubaugebiet. Über 25 000 Menschen sollen hier einmal leben, 15 000 arbeiten – rund 11 500 neue Wohnungen, zehn neue Schulen, über 20 Kitas und ein Badesee entstehen. Auf einer Fläche von rund 250 Fußballfeldern.

Einiges ist schon fertig, vieles entsteht noch. Ein Träger, der fleißig mit baut, ist die städtische Münchner Wohnen. Alleine dieses Jahr will die Gesellschaft 1000 neue Mieter in Freiham begrüßen, rund 400 neue Wohnungen werden bezugsfertig. Auch das Projekt von Thomas Flierl: drei neue Blocks mit 115 Wohnungen am Rande des Viertels. Vier- und sechsstöckige Klötze mit grüner Holzfassade – samt Pflanzenwiese auf den Dächern. „Grün an Gebäuden wird immer mehr gewünscht“, sagt Flierl. Klar, wenn Wiesen unter Betonbauten begraben werden, müssen sie andernorts nachwachsen.

Flierl betritt eine der Wohnungen, an denen noch gewerkelt wird. Moderne Räume mit bodentiefen Fenstern und französischen Balkonen. Aus der Wand hängen noch Kabel. „Es fehlen nur noch Feinheiten“, sagt der Projektleiter. Bald sind die Häuser fertig. An allen Ecken wird auf Münchens derzeit größter Baustelle gewerkelt. Dabei leben bereits 8188 Menschen hier, alleine vergangenes Jahr kamen 526 hinzu. Ein Großteil der Bewohner ist unter 18 Jahre jung – rund 2600. Älter als 65 sind dagegen gerade einmal 230 Einwohner. Freiham, der junge Stadtteil im Westen, zwischen Pasing und Germering.

Philipp Hafner (44) ist vor zwei Jahren mit der Familie neu hergezogen. Er lebte zuvor lang im Lehel, aber irgendwann wurde ihnen die Wohnung zu klein. Freiham bilde jetzt einen angenehmen Kontrast zur engen und wuseligen Innenstadt: „Das Viertel bietet einfach viel Platz“, sagt er. Er merke das oft: ob beim Joggen auf den nahen Feldern – oder bei der Kita-Suche, die sich im Vergleich zur Innenstadt noch erträglich gestalte. Eines seiner Kinder kam sogar in einer Einrichtung fußläufig von seiner Wohnung unter. Und Hafner merkt es auch am Zusammenleben: „Es fühlt sich manchmal fast an wie ein Dorf, viele kennen sich.“

In dem Bezirk, der sich gerade noch stark wandelt. Einer, in dem vieles erst noch entstehen muss. Ein Träger, der vor allem Jugend- und Kulturarbeit vorantreiben will, ist das Feierwerk. Unter dem Namen „Boom“ ist der Verein seit November vergangenen Jahres in Freiham aktiv: Er organisiert Jugendtreffs mit Musikunterricht, Karaoke, Fußballgruppen und Open-Air-Konzerte. „Wir bauen von null etwas auf, es entstehen ganz neue Projekte“, sagt Erwin Zißelsberger (55) vom Boom-Team. Das sei aufregend, aber natürlich auch anspruchsvoll – vor allem im Bereich Kultur. „Es gibt ja noch kaum Kneipen oder Konzertsäle, das macht es uns schwer. Wenn wir Aktionen veranstalten, dann meist mobil oder auf der grünen Wiese“, sagt Zißelsberger.

Doch der Verein ist kreativ. Für Juni ist beispielsweise ein Festival mit überwiegend lokalen Bands angedacht. In den kommenden Jahren soll das Feierwerk in Freiham dann ein eigenes Gebäude bekommen. Genauso wie das Kulturzentrum Grete, das vorläufig noch in den Gemeinschaftsräumen einer Genossenschaft untergebracht ist. Demnächst soll das Zentrum ein eigenes Kulturhaus samt Saal für bis zu 225 Besucher erhalten. Die Stadt neben der Stadt: Sie wächst und wächst.
JULIAN LIMMER

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