Das Herz der Missbrauchten soll heilen

von Redaktion

Kardinal Marx und Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats, enthüllen die Herz-Skulptur vor dem Altar. © Robert Kiderle

Die Herzskulptur und die Lichtinstallation im Liebfrauendom in München. © Robert Kiderle

Wie aus einem Nebeldunst schwebt ein zerbrochenes goldenes Herz im Altarraum der Münchner Liebfrauenkirche. Eine Lichtinstallation des Mahnmals, das real seit Sonntagabend auf einer weißen Säule direkt auf der Altarinsel im Dom steht. Es erinnert an das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche. Mit einer eindrucksvollen künstlerischen Performance mit Tanz, Musik und eindringlichen Texten wurde die Skulptur „Heart“ des Münchner Künstlers Michael Pendry vom Sprecher des Betroffenenbeirats, Richard Kick, und dem Münchner Kardinal Reinhard Marx enthüllt. Bis Ostern soll die Skulptur im Altarraum stehen, dann findet sie einen Platz in der Krypta.

„Wer gab Euch das Recht, unsere Körper zu schänden?“ Die laute Klage, die eine Sängerin in den Dom rief, hallte über die Köpfe der Vertreter der Diözesanleitung hinweg, die auf der rechten Seite platziert waren. Der Kardinal, Generalvikar Christoph Klingan, der oberste Richter des Erzbistums, Peter Förster, und sein Vorgänger Domdekan Lorenz Wolf sowie weitere Vertreter des Domkapitels saßen da, wo sonst das Kirchenvolk versammelt ist. Und sahen den Missbrauchsbetroffenen zu, die sie mit den schändlichsten Verbrechen der Kirche konfrontierten.

Und doch ging die bewegende Veranstaltung weit über Klage und Anklage hinaus. Ein goldenes Herz als Mahnmal mit dem Titel „Gegen das Vergessen des Missbrauchs“ soll auch ein Zeichen sein für Liebe, Empathie und Menschlichkeit, wie Kick betonte. „Das goldene Leuchten der Skulptur weist uns den Weg zu Glaube, Liebe, Zuversicht und Heilung.“

Der Kardinal bekannte, für ihn persönlich sei die Erkenntnis über das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in der Kirche „mit dem Abstand eher gravierender, eingreifender, nicht verblasster, sondern stärker“ geworden. So verstehe er das Mahnmal nicht nur als ein Symbol, sondern vor allem als einen „Aufruf, dass das, was geschehen ist, nie wieder geschehen darf“, und als einen Auftrag, sich der Wahrheit zu stellen. Die vergangenen 15 Jahre seien für ihn „Schritt für Schritt, am Anfang auch mit Abwehr, dann wieder im Aufbruch, ein Weg der Befreiung“ gewesen – „befreit von der Angst, wirklich die ganze Wahrheit anzuschauen.“ Nur die Wahrheit mache frei. Er dankte ausdrücklich für die vielen Gespräche und Begegnungen mit den Betroffenen, insbesondere für die kritischen Auseinandersetzungen und die Hartnäckigkeit. Vor 15 Jahren, als die Verbrechen in der Kirche ans Licht kamen, sei es unvorstellbar gewesen, dass Kirchenvertreter und Betroffene so gemeinsam bei einander stehen. Es mache ihm Mut, mit den Betroffenen den Weg gemeinsam zu gehen. „Wir können nicht aufhören aufzuarbeiten.“

Der Kardinal erwähnte ausdrücklich den Missbrauchsbetroffenen Dietmar Achleitner, der sich selber als „Überlebender“ bezeichnet hatte. Achleitner ist vor zwei Wochen im Alter von 82 Jahren gestorben. Marx berichtet, dass er ihn kurz vor seinem Tod noch besucht habe. „Wir haben uns umarmt und haben beide geweint.“ Es sei eine echte Freundschaft entstanden. Pfarrer Kilian Semel, Leiter der Stabsstelle Beratung und Seelsorge für Betroffene von Missbrauch in der Erzdiözese, dankte ausdrücklich den Betroffenen: „Erst durch Euren Mut, Euch zu zeigen, ist Aufarbeitung möglich.“ Als Semel Kind war, hatte sich auch an ihm ein Pfarrer vergangen.

Im Vorfeld der Installation des Herzens im Liebfrauendom hatte es einige Verstimmung gegeben. So kritisierte der Sprecher des „Eckigen Tischs“ in Berlin, Matthias Katsch, dass die Kirche eher an ihr Versagen in der Vergangenheit erinnert und gemahnt werden müsse, es in Zukunft besser zu machen.

Die Betroffenen mit ihren Angehörigen, die Vertreter des Klerus und der Politik, die die Gedenkfeier im Münchner Dom erlebt haben, waren indes tief berührt. Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sagte unserer Zeitung: „Das war sehr bewegend. Ich beschäftige mich ja mit diesem Thema schon sehr lange. Den Betroffenen ist lange viel Unrecht angetan worden. Es ist gut, wie offen die Erzdiözese München und Freising und der Kardinal damit umgehen. Diese Veranstaltung ist ein wichtiger Schritt für die Aufarbeitung.“

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