Der Kinderwagen der getöteten Hafsa (2) hinter dem Auto an der Seidlstraße. © Fotos: Thedens, Gautier, dpa
Am Königsplatz musste die Polizei eingreifen.
Polizisten gestern am Tatort, im Hintergrund eine Menschenkette. © Thomas Gautier
„Ich bin Bundestagsabgeordneter – und ich gehe jetzt da rein!“ Stephan Protschka (47, AfD) drängt sich am Polizisten vorbei, doch der hält ihn resolut auf. Ein zweiter Beamter schiebt den bayerischen Landeschef der Rechtspartei weiter zurück. „Weg!“, kreischt Protschka – und zetert weiter: „Ich will meine Blume da ablegen, wo der Ministerpräsident sie abgelegt hat.“ Doch er kommt nicht durch.
Es sind unwürdige Szenen am Gedenkort für die Terror-Opfer Amel (37) und Hafsa (2)! Attentäter Farhad Noori (24) hatte die junge Mutter und ihre kleine Tochter am Donnerstag mit seinem Mini in der Seidlstraße (Maxvorstadt) überfahren, 34 weitere Menschen teils schwer verletzt. Tagelang kämpfen Ärzte um das Leben der beiden. Am Samstag kam dann die traurige Nachricht: Mutter und Kind sind tot.
Gestern legten hunderte Münchner Blumen und Kerzen am Tatort nieder. Menschen gedachten im Schneetreiben der Opfer in stiller Trauer. Einige weinten.
Doch gegen 12.30 Uhr kippt die pietätvolle Stimmung. Eine AfD-Delegation mit Protschka, dem Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wiehle sowie den Landtagsabgeordneten Markus Walbrunn und Rene Dierkes will weiße Rosen am Gedenkort ablegen. Verdi-Mitglieder und Antifa-Aktivisten bilden eine Menschenkette und stoppen sie. Die Polizei bringt mehr Beamte, sperrt die Kreuzung. AfD-Sympathisanten rangeln mit Linken. Dann führt die Polizei einen AfD-Bundestagskandidaten ab. Er hatte sich durch die Kette zum Gedenkort geschlichen.
Zweieinhalb Stunden lang gibt es keine Einigung. Laut Polizeisprecher Thomas Schelshorn wollten die Linken nicht weichen, die Rechten ihre Blumen nicht woanders ablegen. Die Polizei wollte die Menschenkette „aus Verhältnismäßigkeitsgründen“ nicht mit Zwang auflösen. Am Ende legen die AfD-Politiker ihre Blumen zehn Meter neben dem Gedenkort ab. Wolfgang Wiehle macht noch ein Selfie – und geht.
Tumulte am Tatort – genau das, was die Familie der toten Amel (37) und der kleinen Hafsa (2) verhindern wollte. Sie hatte darum gebeten, deren Tod und das Verbrechen des afghanischen Asylbewerbers nicht politisch zu verwenden. Sie teilte mit: „Wir möchten bekräftigen, dass der Tod und der Verlust nicht benutzt werden, um Hass zu schüren und ihn politisch zu instrumentalisieren.“
Amel war Ingenieurin bei der Stadtentwässerung. Am Donnerstag nahm sie am Streik-Zug von Verdi teil – mit Hafsa im Kinderwagen. Amel war im Alter von vier Jahren aus Algerien nach Deutschland gekommen, sie hatte in Köln und Bingen Umweltschutz studiert. Seit 2017 war sie bei der Stadt beschäftigt als Projekt- und Sachgebietsleiterin bei der Stadtentwässerung. Sie habe sich immer für Gerechtigkeit, Solidarität, Gleichheit und Arbeitnehmerrechte eingesetzt und sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung engagiert, teilte ihr Ehemann (38) mit. Ihrer Tochter Hafsa habe sie diese Werte mitgeben wollen.
Die Tumulte am Tatort, sie passen nicht zum ehrenvollen Gedenken an Mutter und Tochter. Polizeisprecher Thomas Schelshorn kritisierte beide Seiten: „Ich finde es furchtbar – von allen, die hier sind. Wenn man daran denkt, wie wenig pietätvoll das Ganze ist, wenn man an die Familie und an das denkt, was vor wenigen Tagen hier passiert ist. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis.“
Es war nicht der einzige Vorfall dieser Art. Auch am Königsplatz gerieten Polizei und Demonstranten aneinander. An einer Mahnwache der AfD beteiligten sich etwa 70 Personen, an einer Demo von Gegnern einer politischen Instrumentalisierung etwa 600. Aus der Gegen-Demo hätten sich rund 350 Personen gelöst, seien in Richtung Mahnwache gegangen. Dort kam es zu „kurzfristigen freiheitsentziehenden Maßnahmen“ für acht Personen.
T. GAUTIER, G. WINTER