Auch früher schon galten Aussagen im Endspurt eines Wahlkampfs nicht immer als besonders erhellend. Auch nicht als sachkundig, differenziert und ausgewogen. Aber dafür gab es die beruhigenden Worte vom Pulverdampf oder Wahlkampfgetöse. Diese relativierten alle Übertreibungen bei der Selbstanpreisung und beim Herabsetzen der Konkurrenz wieder ein wenig als saisonales Phänomen oder folkloristische Derbheit. Und vor allem stellten sie ein baldiges Ende in Aussicht.
Nicht so in den letzten Tagen. Da wurden nicht Schimpfkanonaden von Wahlkampf-Kombattanten abgefeuert, sondern geistige Umnachtung von der Spitze einer Weltmacht vorgeführt. Wie soll man es anders nennen, wenn ein Vizepräsident das Verbot übler Nachrede in anderen Kontinenten als Zensur und schlimmste Unfreiheit geißeln will? Dass ein Präsident, dem die seriöse Presse schon über 30 000 Fälle öffentlicher Lügen nachweisen konnte, jeden Faktencheck als Landplage und unbotmäßige Belästigung seiner Alleinherrschaft gegen Wahrheitsgebote brandmarken lässt, erscheint daneben fast schon als verständlich.
Doch dann kam es noch dicker. Dieser Präsident erklärte den imperialistischen Angriffskrieger Wladimir Putin, der das Nachbarland Ukraine mit Panzerarmeen überfallen und seine Städte von Bombergeschwadern in Schutt und Asche legen ließ, zum willkommenen Partner bei Friedensbemühungen und das Opfer zum Täter. Über Putins Tyrannei ist ihm nichts Nachteiliges bekannt, dafür erfindet er Vorwürfe gegen Selenskyj (Diktator ohne Wahl).
Wenn die demokratische Mitte es nicht sofort nach der Wahl schafft, erst gemeinsam und dann mit so vielen Europäern wie irgend möglich den Unterschied zwischen Lügen und Fakten, zwischen imperialistischem Angriffskrieg und erzwungener Selbstverteidigung wieder zurechtzurücken, werden wir uns von der geistigen Umnachtung der letzten Tage nicht mehr erholen.