Das Augustiner-Geheimnis

von Redaktion

Der große Report über die Lenker der Kult-Brauerei

Ferdinand Schmid mit Brauereierbin Edith Haberland.

Aus gutem Holz geschnitzt: Catherine Demeter und Martin Liebhäuser mit Ferdinand Schmid als Schnitzerei im Oktoberfest-Museum. © Marcus Schlaf (2)

Augustiner – das ehrwürdigste Bier dieser Stadt, Geburtsjahr 1328. Augustiner – eine Brauerei von Weltruhm, eine Münchner Firma, erbaut auf Hopfen und Malz. Augustiner – ein Getränk, das keine Werbung braucht und das trotzdem jeder kennt. Wie machen die das bloß?

Einer, der alle Augustiner-Wahrheiten kennt, der sitzt im Bier- und Oktoberfestmuseum im Tal. Ein groß gewachsener, eleganter Bayer mit Brille und Anzug. Mit den Händen umfasst er ein Glas Helles. Es handelt sich um Ferdinand Schmid: Er ist einer der großen Bier-Heiligen dieser Stadt. Ehemaliger Ministrant, Jurist, Junggeselle, Ehrendoktor und persönlich haftender Gesellschafter der Augustiner-Bräu Wagner K.G. Einige seiner Sätze sind legendär, diese zum Beispiel: „Wichtig ist, dass wir es in München nicht ungemütlich bekommen. Wenn München nicht mehr gemütlich ist, ist München nicht mehr München. Da kann jeder was dazu tun: Der Oberbürgermeister, ich auf meine Weise, aber auch jeder stille Zecher, jeder Biertrinker, der sich hinsetzt, sein Bier trinkt, seine Zeitung liest und seine Brezn verzehrt, der leistet genauso einen Beitrag zur Gemütlichkeit.“

Schmid hat die Identität der Augustiner-Brauerei geprägt – und das wirkt bis heute. Er hat dutzende Wirtshäuser eröffnet, saniert, aufgehübscht. Man kann leider nicht mehr mit ihm sprechen. Er starb im November 2013. Besuchen kann man ihn trotzdem: Im Museum steht seit Kurzem eine Holzstatue von ihm, ehrenhalber. Nächste Woche Dienstag hätte er seinen 100. Geburtstag gehabt. „Das ist sein Ort“, sagt Augustiner-Chefin Catherine Demeter (61) im Oktoberfest-Museum. Überall finden sich hier seine Erinnerungen an die Bierstadt München. Gemälde, Zapfhähne, Möbel, Schilder, Krüge – Schmid hat das alles gesammelt.

Noch heute bestücken sie die Augustiner-Wirtshäuser mit Teilen aus seiner gigantischen Sammlung. Schmid hat das mit der Gemütlichkeit ernst genommen. Auch so ein Augustiner-Geheimnis. Er hat sich um jedes Detail gekümmert und manchmal auch die Wirte erzogen. „Es hat ihn wahnsinnig gemacht, wenn er Kitsch-Lederhosen oder Plastikblumen als Deko gesehen hat“, sagt Demeter. Was ihn störte, hat er schnellstmöglich abbauen oder wegräumen lassen.

Seine Prinzipien hat er direkt vom legendären Brauereibesitzer Richard Wagner eingeimpft bekommen. Als Wagner 94 Jahre alt war, fragte Schmid ihn, wie er es mit der Werbung halte. „Meine beste Reklame ist das Bier – und daran wird nicht gespart“, antwortete der damalige Augustiner-Patriarch.

Die Qualität ist das eine. Das andere ist die Brauerei-Struktur. Die kinderlose Erbin Edith Haberland hat mit Schmid zusammen einen gesellschaftsrechtlichen Geniestreich ausgeheckt. Beide haben die Edith-Haberland-Wagner-Stiftung aus der Taufe gehoben, der seitdem zu 51 Prozent die Augustiner Brauerei gehört. Damit ist gewährleistet, dass von jeder Halben, die verkauft wird, die Hälfte des Gewinns bei der Stiftung landet. Augustiner ist damit dem Zugriff von Finanzhaien oder weltweiten Brau-Giganten entzogen.

„Die anderen Münchner Brauereien sind in internationalen Konzernen aufgegangen“, sagt Demeter. Augustiner ist einen komplett anderen Weg gegangen, Schmid wurde Stiftungschef und nutzte das Geld für soziale Projekte, Frauenhäuser, Studentenwohnheime, Denkmalschutz, Bauprojekte, Deckenfresken im Alten Peter oder für die Unterstützung des Tölzer Knabenchors. Catherine Demeter ist die Nachfolgerin von Schmid als Vorsitzende der Stiftung. Es ist ein großes Erbe, aber ihr fehlt es nicht an Selbstbewusstsein. „Der Ferdinand hat gemerkt, dass ich engagiert und leidenschaftlich bin“, sagt sie.

Bei Augustiner streiten sie schon seit Jahrhunderten um die besten Bier-Ideen. Und sie trauen sich was ganz Besonderes: Sie verweigern sich dem Zeitgeist. Das ist das Erbe von Ferdinand Schmid und das Erfolgsgeheimnis dieser Brauerei. Es braucht kein neues Flaschendesign, und Wirtshäuser müssen auch nicht modern sein.

Martin Liebhäuser hat viele Jahre mit Schmid zusammengearbeitet, heute ist er zweiter Vorstand der Stiftung. Er sagt: „Wenn der Herr Schmid damals einen Trend-Berater gehabt hätte, der hätte ihm abgeraten.“ Abgeraten, die Wirtshäuser so zu gestalten, wie sie heute jeder Münchner kennt. „Aber er hatte ein irres Gespür für Identität. Egal welche Gaststätten wir damals gemacht haben, wir sind überall hingefahren. Und er hat gesagt: ,Jetzt spür den Ort und schau ihn dir an!‘“ Es ist heute noch auf verrückte Weise altbacken, was sie bei Augustiner so treiben. Aber damit treffen sie einen Nerv.

Im Sommer haben sie erstmals ein alkoholfreies Helles auf den Markt gebracht. Im Getränkemärkt war es sofort ausverkauft, und im Netz haben es Anbieter für Mondpreise angeboten. Schon Schmid hat Versuche mit dem Alkoholfreien angeordnet, aber es ist seinerseits nie zur Flaschenabfüllung gekommen. „Es hat damals noch nicht geschmeckt“, sagt Liebhäuser. Auch innerhalb der Brauerei gab es bis zuletzt Vorbehalte gegen die promillefreie Sorte. „Ich habe nie am Erfolg gezweifelt, aber meine Herren Brauer schon“, sagt Catherine Demeter und lacht. Inzwischen ziehen viele bayerische Brauereien nach und tüfteln ebenfalls am Alkoholfreien.

Demeter sitzt noch immer im Museum, vor ihr ein Brotzeitbrettl und eine Halbe Augustiner. „Diese Münchner Geselligkeit ist für mich ein Weltkulturerbe“, sagt sie. Sie schaut dem hölzernen Ferdinand Schmid in die Augen und sagt: „Er hat das selber gelebt.“ Schmid war jeden Tag in seinen Wirtshäusern. Burg Pappenheim, Augustiner Stammhaus, Bratwurstglöckl.

Im Wirtshaus im Museum feiern sie den 100. Geburtstag mit seinen Lieblingsgerichten. Es gibt Würstel mit Brot (7,80 Euro), Altbayrische Breznsuppe (5,80), saure Zipfel (9,80 Euro) und Augustiner Bier (4,20 Euro die Halbe). Es braucht nicht viel für ein gutes Leben. Manchmal reichen Hunger, Durst und ein gscheites Wirtshaus in Fußnähe.

Das ist auch so eine Augustiner-Weisheit.
ULI HEICHELE, STEFAN SESSLER

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