MÜNCHNER FREIHEIT

Von Wiesen-Nagaln und Blutströpferln

von Redaktion

Neulich beim Spazierengehen entdeckte ich Leberblümerl. Was für eine Frühlingsfreude! Noch größer war jedoch meine Begeisterung, weil ich eine gefühlte Ewigkeit diese lilafarbenen Blüten nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Meine Freundin Lucia stimmte mir zu. „Mei, Schneegleckerl, Winterlinge und Krokus sigst ois ganze Teppich’ in Weiß, Gejb und Lila. Die vermehrn si narrisch guad und ,marschiern‘ ausm Gartn naus in Grünstreifn nei und sogar über d Strass drüber.“ Ja, Gott sei Dank, so ein erster Farbenrausch nach der faden Winter-Tritschelei sei schon eine Wohltat fürs Gemüt, sagte ich. Die stillen, bescheidenen Pflanzen, die die Gärtnereien nicht anbieten können, machten mir trotzdem Sorge. Wenn selbst Schlüsselblumen geschützt werden müssen …

Ludwig erklärte, er freue sich mittlerweile bereits, wenn er am Wanderpfad Spitz- oder Breitwegerich entdecke. „Ois Bua war des nix Intressants, massenhaft san de in da Wiesn gwachsn. So was Bsonderns wia Nagaln (kleine Nelken) hob i zletzt auf a Bergwiesn im Tessin ogschaugt. Da war i vielleicht zehn. Zwoa Jahr später san dortn nur no Ferienwohnungen gstandn.“ Wiggerl schaute auf unserem Rundgang so nostalgisch wie melancholisch zurück in seine Jugend. Und ich erinnerte mich an Kaufladen-Spiele, bei denen ich neben bunten Steinchen und Schneckenhäusern Pflänzlein wie den Ackergauchheil mit seinen winzigen orangeroten Sternchen oder blauen Ehrenpreis im Angebot hatte. Wo sind sie geblieben?

Lucia lachte: „Du woaßt scho, dass der bei uns Männertreu hoaßt, wei er so schnej verbliat!“ Die ebenfalls blaue Wegwarte sei hingegen typisch weiblich, weil sie unfassbar geduldig und bedürfnislos am noch so trockenen Wegesrand ausharre – und obendrein mit ihrer Pfahlwurzel unseren Omas einen Kaffeeersatz (Chicorée) schenkte. Ludwig erzählte noch, dass er vor zwei Jahren im Mai im Oberland eine rötliche Blume entdeckt habe, die ihm völlig unbekannt war. „I hab a Foto gmacht; des Madl beim Dorf-Bäcker hod s a ned kennt.“ Daheim habe er das Glöckchen – „koa lila Glocknblume!“ – mithilfe seines Blumenbuchs als Bachnelkenwurz identifiziert, merkte er stolz an. „Ah, a Blutströpferl“, klärte uns Lucia auf. Die volkstümlichen Namen sind halt immer noch die schönsten.

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