KVR-Chefin Hanna Sammüller-Gradl (Grüne).
Im Münchner KVR an der Ruppertstraße ist es am Dienstag zu einer Razzia gekommen. Der Grund sind Korruptions-Vorwürfe. Es geht um mehrere Dutzend Fälle. © S. Jantz, M. Götzfried
Es sind erschütternde Vorwürfe: Gab‘s beim Münchner Kreisverwaltungsreferat (KVR) Visa und Aufenthaltsbescheinigungen für Ausländer zu kaufen? Zum Beispiel für Handtaschen, Limousinen-Fahrten und Bargeld? Diese neuen Details tauchen im Rahmen der Korruptions-Ermittlungen im KVR auf, über die unsere Zeitung exklusiv berichtete. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln gegen Mitarbeiter der Behörde und eine weitere Person. Am Dienstag hatten Polizisten Büroräume der Behörde und Wohnungen der Beschuldigten durchsucht.
Der Verdacht: Die Mitarbeiter sollen ausländerrechtliche Genehmigungen gegen Geld und Sachleistungen illegal ausgestellt haben. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt in mehreren dutzend Fällen. Es gibt sieben Beschuldigte. Vier Mitarbeiter der Behörde und ein weiterer Mann sitzen in Untersuchungshaft. Bei Letztgenanntem soll es sich nach unseren Infos um einen sogenannten Relocation-Agenten handeln, der bereits am 6. März festgenommen wurde – also um einen Geschäftsmann, der Ausländern dabei hilft, Visa, Arbeitserlaubnisse oder Aufenthaltstitel zu bekommen.
Dieser Mann, der nicht bei der Stadt beschäftigt ist, soll den Kontakt zu Ausländern vermittelt, gefälschte Dokumente hergestellt und dafür die Mitarbeiter geschmiert haben. Er wird laut Staatsanwaltschaft der Bestechung und Urkundenfälschung verdächtigt. Dabei soll er nicht nur mit Bargeld bestochen haben: Bei der Razzia am Dienstag sollten die Ermittler nach Unterlagen suchen, die „Aufschluss geben über Zuwendungen, insbesondere Handtaschen, Reisen, Veranstaltungen, Limousinenfahrten und Bargeld“ – so steht es im Durchsuchungsbeschluss, der unserer Redaktion vorliegt. Geld gegen Bleiberecht? Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der es einschneidende Debatten um das Thema Migration gibt.
Zur Razzia kam es durch das KVR selbst – die Behörde hatte die Ermittler erst auf die zwielichtigen Machenschaften hingewiesen. Dem Amt war der Relocation-Agent schon vor Monaten aufgefallen.
In vielen Städten hat sich der Relocation-Service mittlerweile als neue Branche etabliert: Deren Agenten sind mitunter auch bei den Behördengängen dabei. Das ist grundsätzlich rechtens – es gibt aber auch schwarze Schafe. Einige davon sind nach unseren Infos immer mal wieder in öffentlich zugänglichen Bereichen der Ausländerbehörde aufgetaucht, um gezielt Ausländer anzusprechen. Wird das bemerkt, erteilt das KVR Hausverbot. In einem speziellen Fall ist aber zudem aufgefallen, dass ein Relocation-Agent jeweils mit unterschiedlichen Kunden über einen längeren Zeitraum immer wieder bei den selben fünf Mitarbeitern der Ausländerbehörde war.
Das KVR schaltete die Innenrevision ein, die dann die Staatsanwaltschaft informierte. Seitdem wird gemeinsam ermittelt, eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte, die Behörde verdächtige fünf derzeitige Mitarbeiter und eine ehemalige Mitarbeiterin der Ausländerbehörde, von Mai 2022 bis Januar 2024 „in zahlreichen Fällen“ gegen Geld rechtswidrige Entscheidungen zu ausländerrechtlichen Themen getroffen zu haben. Es gehe vor allem um den Verdacht der Bestechlichkeit und der Urkundenfälschung.
Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft bestätigte gestern: Die Ermittlungen beruhten auf internen Ermittlungen des KVR. Kreisverwaltungsreferentin Hanna Sammüller-Gradl (Grüne) teilte mit, das KVR verfolge „wie die ganze Landeshauptstadt München eine Zero-Tolerance-Politik in Bezug auf Korruption und bringt jeden Verdacht zur Anzeige“. Sammüller-Gradl leitet das KVR seit Juli 2022. Die nun von den Ermittlungen betroffenen Mitarbeiter sind schon länger in der Behörde tätig – möglich also, dass die illegalen Machenschaften noch weiter zurückreichen.
Die Ausländerbehörde ist nur eine Abteilung von zahlreichen im Referat, das 3800 Mitarbeiter hat. Wer in München wohnt, hat bei vielen Behördengängen mit dem KVR zu tun – unter anderem gehören das Standesamt, die Zulassungsbehörde und das Bürgerbüro zu den Abteilungen. Die Behörde gilt zudem als das Innenministerium der Stadt. Das macht den Vorfall umso bemerkenswerter. Zum einen kommt es selten zu einer Durchsuchung in einem Referat. Zum anderen sind es doch gerade die Mitarbeiter dieser Behörde, die für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich sind…
S. KAROWSKI, T. GAUTIER