Eine sinnliche Feststellung: Der Mensch kann die Augen schließen, Ohren und Nase dagegen nicht. Vorteil oder Nachteil? – Das hängt von der Situation ab. Es gibt Dinge, die muss man nicht unbedingt sehen, um sie zu genießen. Linseneintopf zum Beispiel schmeckt gut, ist aber nicht unbedingt der Mister Universe unter den Gerichten. Andererseits würde ich im Moment sehr gern meine Nase zu Hause lassen, wenn ich mein Stammcafé besuche. Dort gibt es nämlich aktuell ein Problem mit der Lüftung. Wenn man zu nah an den Toiletten sitzt, duftet der Kaffee exakt so wie die Bärlauchsuppe schmeckt, nämlich nach Desinfektionsmittel.
Mit den Ohren ist es auch kompliziert. Unlängst ergriff ich die Flucht vor den Wänden meiner Wohnung. Die hatten mich nämlich so unverschämt angestarrt, nur weil ich nicht weiterkommen wollte in meinem aktuellen Drehbuch. Ich packte also mein Laptop, ging ums Eck und versuchte mich als Kaffeehausliterat. Dort wollte ich die Frage klären, die mich zu Hause so gequält hatte: „Sagt meine Hauptfigur im Dialog eher ‚bekommen‘ oder ‚kriegen‘?“ So eine Entscheidung kann mich stundenlang lähmen. Ich habe manchmal wirklich einen Beruf von unglaublicher Lächerlichkeit. Die Wahrheit lautet nämlich: In dem Moment, da meine Hauptfigur später „kriegen“ oder „bekommen“ sagt, könnte auch jemand vor dem Fernseher mit der Chipstüte rascheln, sodass es letztlich völlig egal ist, für welches Verb ich mich entschieden habe.
Die Frage von „kriegen“ und „bekommen“ verlor im Café ums Eck noch mehr an Bedeutung, als das Gespräch des Nachbartischs zu mir herüberwaberte wie in anderen Cafés der Duft des Desinfektionsmittels. Eine Frau erzählte ihrer Freundin von ihrem Business und davon, wie viel „K“ sie damit umsetze. Für die Unwissenden: „K“ hieß früher „Tausend“, klingt aber dermaßen erfolgreich, dass Elon Musk bestimmt sein nächstes Kind so nennen wird. Die Summen, die am Nachbartisch aufblitzten wie die Goldzähne im Lächeln eines Hollywood-Bösewichts, waren jedenfalls beeindruckend. Ich konnte nicht weghören. Außerdem sprachen die Damen sowieso viel zu laut. Schließlich verriet die Erfolgsfrau einen ihrer Businesstricks: Sie leite Mails, die sie erreichten, mittlerweile unkommentiert an ihre Mitarbeiterinnen weiter. Das spare ihr am Tag eine halbe Stunde Arbeit und damit übers Jahr gerechnet einige „K“. So sieht also Erfolg aus im Jahr 2025: Kein „Bitte“, kein „Danke“, kein „Könntest du …“, aber dafür ein lautes Gespräch darüber. Und ich sitze am Nachbartisch und denke über Verben nach, die egal sind. Ich habe wirklich alles falsch gemacht in meinem Leben.