Wer schickt mir ständig Geister-Briefe? Hermann M. am Briefkasten seines Hauses in Großhadern. Er vermutet, dass seine Adresse illegal genutzt wird.
Hermann M. (71) lebt mit seiner Frau in Großhadern in einem Reiheneckhaus. Und doch hat der Versicherungsmakler jede Menge Mitbewohner. Denn unter seiner Adresse sind viele andere Leute gemeldet – Leute, die Hermann M. noch nie gesehen hat.
Seit Jahren bekommt M. Briefe zugestellt. Die sind gar nicht an ihn adressiert, sondern an Namen mit (süd-)osteuropäischer Herkunft. Das dürfte gar nicht sein, sagt er: „Ich lebe seit 1977 hier, bin alleiniger Eigentümer des Hauses. Wie kann es sein, dass andere meine Adresse benutzen? Das Ganze stinkt zum Himmel.“
Die ersten Briefe bekam Hermann M. im Oktober 2022. „Ein Brief mit einem kroatischen oder serbischen Nachnamen.“ Ein Brief der Stadtsparkasse München an eine gewisse Mirela M. für eine Kontoeröffnung. Am 16. Februar 2023 kam das nächste Schreiben – an einen Mann namens Slaven S. Dieses Mal Unterlagen für eine Autoversicherung der Signal Iduna. Für Slaven S. landeten bis heute viele weitere Briefe im Briefkasten von Hermann M.: Von der Minijob-Zentrale, von einem Inkassobüro, der Deutschen Rentenversicherung, vom Bayerischen Rundfunk oder der Krankenkasse AOK.
Hermann M. bekam darüber hinaus dutzende weitere Briefe – an Menschen wie Damir A. (Kreditvertrag, später ein Mahnschreiben, eine Krankenversicherung). Oder Bojana A., die an einer Befragung der TU Dresden zur „Mobilität in Städten“ teilnehmen sollte. Eine Inga A. bekam sogar Post des Bundeszentralamts für Steuern. Auch ein Josip P. war offenbar bei der Adresse von Hermann M. gemeldet. „Im April 2023 suchte die Polizei hier nach ihm“, sagt der Hausbesitzer.
Alles Briefe für komplett Fremde – die diese Briefe auch nie abholten. „Ich bin eine Briefkastenfirma“, klagt Hermann M. Er ist sicher: Das kann nicht mit legalen Dingen zugehen. „Ich denke, dass hier ein groß angelegter krimineller Betrug vorliegt, der möglicherweise nur die Spitze des Eisberges ist. Warum sollten sich die vielen Ausländer nur über meine Adresse anmelden?“
Schon im März 2023 erstattete er Anzeige bei der Staatsanwaltschaft München I. „Doch das wurde eingestellt“, sagt er.
Das KVR bestätigt den Fall. Auf Anfrage sagt eine Sprecherin: „Die genannten Personen waren an der Adresse gemeldet, sind es aber nicht mehr.“ Alle hätten sich „2022 angemeldet und 2022 oder 2023 wieder abgemeldet.“ Und: „Die Anmeldungen wurden von den betroffenen Personen mittels persönlicher Vorsprache und unter Vorlage der erforderlichen Anmeldeunterlagen durchgeführt.“
Laut Sprecherin muss man für eine Wohnsitz-Anmeldung Meldeschein, Ausweisdokument und eine Wohnungsgeberbestätigung vorlegen – also die Bestätigung des Eigentümers, das man da wirklich einzieht. Doch die war offensichtlich gefälscht! Denn: „Eine Wohnungsgeberbescheinigung habe ich niemals ausgestellt“, versichert Hermann M.
Dass ständig neue Menschen in dem Haus ein- und auszogen, fiel der Behörde nicht auf. Das Melderegister gebe keine Hinweise darauf, „welche Gebäudeart sich an einer bestimmten Adresse befindet“, so die Sprecherin – also ob es sich um ein Ein- oder Mehrfamilienhaus handelt. Dennoch: „Das KVR nimmt die vorliegenden Erkenntnisse zum Anlass für weitere Ermittlungen.“
Die Behörde steht derzeit im Fokus wegen eines spektakulären Skandals: Vor einigen Tagen durchsuchte die Polizei das KVR, ermittelt gegen sechs Mitarbeiter. Sie sollen ausländerrechtliche Genehmigungen gegen Geld und Sachleistungen wie Handtaschen, Tickets oder Reisen illegal ausgestellt haben.
THOMAS GAUTIER