Cannabis-Arzt: Immer mehr Kiffer!

von Redaktion

Legalisierung: Suchtmediziner Prof. Dr. Oliver Pogarell über die Folgen

Vor einem Jahr, am 1. April 2024, ist das bundesweite Cannabis-Gesetz in Kraft getreten. Seitdem können Erwachsene mit vielen Beschränkungen legal Cannabis zu Genusszwecken konsumieren und privat anbauen. Minderjährige müssen aber die Finger davon lassen. Seit Juli haben nichtgewerbliche Vereinigungen zudem die Möglichkeit, Cannabis anzubauen. In Bayern allerdings wurde bisher kein einziger Club genehmigt. Das Gesetz der einstigen Ampel-Koalition ist insgesamt umstritten. Welche Folgen ein gelockerter Umgang mit Cannabis aus medizinischer Sicht hat, erklärt Professor Dr. Oliver Pogarell, Vize-Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des LMU-Klinikums München. Er leitet dort die Sucht- und Substitutionsambulanz.

Gibt es seit der Teil-Legalisierung, die laut Kritikern zu einer Verharmlosung der Droge führt, mehr Patienten, die Probleme mit Cannabis haben?

Wir verzeichnen bereits seit mehreren Jahren einen Anstieg von Hilfesuchenden mit einer Cannabisstörung, in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Betroffenen in unserem Haus mehr als verdoppelt. Rund fünf Prozent der Patienten im stationären Bereich sind bei uns betroffen, bei manchen handelt es sich dabei um eine begleitende Störung. Seit der Legalisierung hat sich dieser Trend bislang nicht groß verändert. Aber nach nur einem Jahr lassen sich auch noch keine längerfristigen Aussagen treffen.

Und eine solche Cannabisstörung äußert sich wie genau?

Patienten berichten über starken Suchtdruck und Kontrollverlust. Auch die Konsummenge nimmt immer mehr zu. Es können Entzugserscheinungen wie innere Unruhe, Schlafstörungen und Kreislaufprobleme auftreten. Die Betroffenen vernachlässigen zunehmend andere Tätigkeiten, um sich dem Cannabiskonsum zu widmen.

Zu welchen weiteren Folgen führt ein übermäßiger Konsum?

Die gewünschten Auswirkungen wie Entspannung und Euphorie können schnell umschlagen. Akut können Ängste, Depressionen, Realitätsverlust und Halluzinationen auftreten. Als Langzeitfolge kann ein amotivationales Syndrom vorkommen, dabei haben Patienten keinen Antrieb, keine Energie mehr. Besonders gefürchtet sind die chronisch psychiatrischen Zustände. Hierbei fühlen sich Betroffene oft verfolgt und bedroht, sehen oder hören Dinge, die gar nicht da sind. Gerade junge Menschen haben ein erhöhtes Risiko dafür.

Warum sind gerade junge Menschen gefährdet?

Das liegt daran, dass die Hirnentwicklung erst mit etwa 25 Jahren abgeschlossen ist. Bis dahin ist das Gehirn besonders empfänglich für psychoaktive Stoffe wie Cannabis, Alkohol oder Opioide. Cannabis beeinflusst bestimmte Botenstoffsysteme im Gehirn. Deshalb ist diese Altersgruppe besonders gefährdet, gerade wenn erhöhte Dosen im Spiel sind. Prinzipiell ist Cannabis ein Produkt, das primär von den 18- bis 25-Jährigen konsumiert wird. Das hat auch mit der breiten Verfügbarkeit der Droge zu tun.

Dabei war ja ein Ziel der einstigen Ampelkoalition, mit der Legalisierung und Enttabuisierung Prävention und Aufklärung gerade für junge Menschen zu stärken. Ist das gelungen?

Wichtig ist: Für einen guten Jugendschutz brauchen wir eine gute Prävention und ein breites Beratungsangebot. Das Bewusstsein dafür hat sich verbessert. Denn nur mit Verboten und Bestrafungen zu arbeiten, bringt auch nicht den gewünschten Erfolg. Das hat ja der gestiegene Cannabiskonsum der vergangenen Jahre gezeigt.

Sind Sie persönlich also für eine Legalisierung?

Das Ziel einer drogenfreien Gesellschaft ist realitätsfern, das haben die Entwicklungen gezeigt. Eine Legalisierung kann möglicherweise dazu beitragen, die Offenheit für eine Therapie zu erhöhen, denn Kriminalisierung und Sanktionen führen oft zu Stigmatisierung und Scham.

Mit der kontrollierten Abgabe sollte auch vermieden werden, dass Konsumenten verunreinigten Stoff vom Schwarzmarkt ohne unbekannten THC-Grad bekommen.

Grundsätzlich sind Drogen, die man auf der Straße kauft, gefährlicher. Man weiß nie, welche Zusätze beigemischt sind. Aber für eine konkrete Analyse seit der Legalisierung vor einem Jahr ist es noch zu früh.

Ein anderes Thema ist das Medizinalcannabis, das Ärzte verschreiben können und das in der Apotheke erhältlich ist. Besteht tatsächlich ein medizinischer Nutzen?

Cannabis hat eine Tradition als Heilpflanze und einen gewissen Stellenwert in der Medizin. Es kann zum Beispiel bei chronischen neuropathischen Schmerzen, bei Krebspatienten mit Chemotherapie und in der Palliativmedizin eingesetzt werden. In der Regel ist es aber nicht die Therapie der ersten Wahl.


MARLENE KADACH

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