Ich möchte endlich meine Tochter beerdigen

von Redaktion

Mordfall Sonja Engelbrecht – Ihre Mutter spricht in unserer Zeitung

In einem Wald bei Kipfenberg sucht die Polizei nach Spuren und Hinweisen. © Peter Kneffel/dpa

Sonja Engelbrecht verschwand 1995. © privat

Ingrid Engelbrecht mit ihrer Tochter Sonja. Das Verbrechen an dem Mädchen ist seit mittlerweile 30 Jahren ungeklärt.

Seit dem 10. April 1995 sind 30 Jahre vergangen. In dieser Zeit gab es für Ingrid Engelbrecht nicht einen Tag, an dem sie nicht an ihre Tochter Sonja gedacht hat. An eben diesem 10. April, einem Montag, hat sie ihren damals 19-jährigen Schatz zum letzten Mal gesehen. Das plötzliche Verschwinden der Fachoberschülerin und die 26 langen Jahre, in denen ihr Verbleib völlig unklar war, haben alles verändert. Für Ingrid Engelbrecht bedeutete die Ungewissheit aber immer auch ein Stück Hoffnung. Hoffnung, dass Sonja irgendwo lebt. „Es ihr gut geht“, sagt die heute 82-Jährige. Vor vier Jahren hat sie erfahren, dass es keine Hoffnung gibt. Damals konnten Knochen, die in einem Wald nördlich von Ingolstadt gefunden wurden, dem vermissten Mädchen zugeordnet werden. Der Fund machte Schlagzeilen. Und traf die Familie hart. „Gewissheit ist das Ende“, sagt Ingrid Engelbrecht. Jetzt, 30 Jahre nachdem der Albtraum für sie begonnen hatte, gibt es vor allem einen Wunsch: „Ich möchte endlich meine Tochter beerdigen.“ Im Grab der Familie. Damit sich zumindest dieses Kapitel schließt.

Noch weiß Ingrid Engelbrecht aber nicht, wann die Mordkommission des Polizeipräsidiums die sterblichen Überreste von Sonja freigeben wird. „Sie ist noch in der Rechtsmedizin“, sagt sie. Ihre Stimme klingt bitter, auch deshalb, weil die Polizei sie in den vergangenen Jahren nicht oft kontaktiert habe. In dieser Zeit ist alles, was im Wald bei Kipfenberg gefunden wurde, intensiv untersucht worden: auf Spuren, auf DNA-Muster, auf Hinweise. Das, was die Polizei entdeckte, führte zu mehreren Speichelproben in Kipfenberg. Der Wald, in dem Sonja vor 30 Jahren verscharrt wurde, gehört zu dem recht idyllischen Ort im Altmühltal. Wie das alles zusammenpasst, wie sie von München dorthin kommen konnte, beschäftigt ihre Mutter. Auch der Polizei geben die Umstände weiter Rätsel auf. Die Theorie der Ermittler, dass die 19-Jährige in der Nacht ihres Verschwindens in ein Auto gestiegen sein könnte, gibt es schon lange. Die Familie hat daran nie geglaubt.

Natürlich möchte Ingrid Engelbrecht, dass Sonjas Mörder gefunden wird. Dass sich jemand für das Verbrechen, das er begangen hat, verantworten muss. Zugleich schreckt sie der Gedanke an die Aufklärung des Mordes ab. Es gibt diese eine Seite, die lieber gar nicht wissen möchte, was ihre Tochter an diesem Montag vor 30 Jahren erleiden musste. „Gewissheit ist nicht schön.“ Vielleicht ist der Täter heute, Jahrzehnte später, ein alter Mann. Vielleicht lebt er selbst nicht mehr. Dass er Tag für Tag mit seiner Tat gelebt hat, zerrt an Ingrid Engelbrecht. Genauso wie der Gedanke daran, dass es vielleicht Mitwisser gibt, die schon so lange schweigen: „Wer hat heute noch ein Gewissen?“

Auch wenn jeder Tag in den vergangenen drei Jahrzehnten schwer war, sieht Ingrid Engelbrecht dem Jahrestag besonders traurig entgegen. „Das ist ein wichtiges Datum für mich.“ In ihrer Wohnung steht ein großes Bild von Sonja. Denn in ihrem Herzen bleibt sie für immer am Leben.
NADJA HOFFMANN

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