Ja, ich weiß: Für ein breites Bündnis der Mitte zu werben, ist gerade in diesen Zeiten nicht gerade hoch im Kurs. Auf die Konkurrenz zu schimpfen, macht einfach mehr Spaß und ist bei eigenen Anhängern oft populärer. Die Parteijugend der bayerischen SPD, diese Speerspitze des politischen Erfolgs, hat sogar formell beschlossen, den SPD-Mitgliedern im Freistaat zu empfehlen, beim Mitglieder-Entscheid mit Nein zu stimmen, also die Koalition mit CDU und CSU abzulehnen. Obwohl bei den Verhandlungen mehr herausgeholt werden konnte, als eigentlich drin war. Die Schuldenbremse, die ja Verfassungsrang hatte und von der Union zum obersten Dogma erhoben wurde, ist schon geknackt. Zugunsten der jahrzehntelang vernachlässigten Infrastruktur, zugunsten einer dringend benötigten Ankurbelung der Wirtschaft und einer Stärkung der Verteidigungskraft. Vor allem aber, um eine handlungsfähige Regierung der politischen Mitte zu bekommen – ohne rechtsextreme Beteiligung und ohne Kapitulation vor einem imperialistischen Angriffskrieg.
Da muss man gerade als Mitglied einer vom Wahlvolk abgestraften und verzwergten Partei eigentlich überaus dankbar sein. Nicht so Bayerns Jusos. Sie empfehlen „Nein“ zu sagen. Die „Junge Union“ im Münchner Norden ist nicht weniger leichtfertig und postet im Netz, dass es auch ohne SPD geht, die Union könne ja auch eine Minderheitsregierung bilden. Wenn es nicht so unerbittlich ernst wäre, könnte man sagen: „Na, dann regiert mal schön!“
Mir ist die spaßige Laune der Parteijugend hier wie dort aber unerklärlich. Wenn die SPD bei ihrem Mitgliederentscheid und dann bei der Kanzlerwahl keine ausreichende Mehrheit zustande bringt, wird das Ansehen der Parteien der Mitte so gering sein wie noch nie in der bundesrepublikanischen Geschichte und die Macht der AfD so groß, wie wir es uns vor wenigen Wochen nicht einmal vorstellen konnten. Bei jeder Gesetzesinitiative wird die AfD den größten Erfolg davontragen: Sie wird entweder mit ihrem Votum die Mehrheit bilden und somit de facto mitregieren oder aber Parteien der Mitte die Zustimmung de facto verbieten, weil die ja nicht genauso wie die AfD entscheiden wollen oder dürfen. Auf jeden Fall wird sie ab sofort zur Mitregierungspartei oder zur bedeutsamsten Opposition, die wir je hatten.
Wer mit seinen Empfehlungen solche Perspektiven erzwingt, sollte die Worte Brandmauer und „Kampf gegen rechts“ nie mehr benutzen. Wenn es keine Mehrheit für die Mitte gibt, kann man die „Brandmauer“ vergessen. Und wenn die SPD, die ja in Bayern schon vor Jahren der AfD den Vorrang einräumte und sich mit einem Platz 5 begnügte, auf Bundesebene die Mitte noch mehr schwächt und mit diesem Aberwitz die AfD noch mehr stärkt, sollte sie sich nicht mehr mit einem „Kampf gegen Rechts“ rühmen, sondern zerknirscht zugeben, dass sie sich aus lauter Realitätsverlust eher als „nützlicher Idiot“ der AfD erwiesen hat. Das gilt natürlich nicht für die Bundespartei, die einen realistischen Kurs fährt und einen akzeptablen Vertrag ausgehandelt hat, sehr wohl aber für die Juso-Organisation, deren Stimmen am Tag der Entscheidung im Parlament fehlen könnten.
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