Ein Glücksmoment für Jung und Alt

von Redaktion

Einzigartiges Projekt in München: Schülerpaten im Seniorenheim Ramersdorf

Unterhalten sich jedes Mal prächtig: Schüler Tino (9) und Joseph Hohenleitner.

Projektleiterin Anke Könemann (Mitte) hilft und gibt Tipps beim Malen im Münchenstift St. Maria Ramersdorf.

Hand in Hand bei jeder Aktion: Lotte (9) und ihre Partnerin Hildamaria Stecher. © Oliver Bodmer (3)

Es sind neun ganz unterschiedliche und ungewöhnliche Paare, die sich einmal im Monat im Münchenstift St. Maria Ramersdorf treffen. Lotte und Hildamaria Stecher beispielsweise. Oder Tino und Joseph Hohenleitner. Die einen sind Bewohner, die anderen sind Drittklässler der inklusiven Montessori-Schule an der Balanstraße (Monte Balan), und alle zusammen sind sie Teil des Projekts Generationsbrücke.

Dass Kindergartenkinder oder Schüler Seniorenheime besuchen, dort in der Adventszeit singen oder Osterkörbchen vorbeibringen, ist nicht ungewöhnlich. Bei der Generationsbrücke aber gehen Jung und Alt nach einem bestimmten Programm ein Jahr lang eine echte Partnerschaft ein. Mit allem, was dazu gehört.

Anke Könemann (60), Leiterin der Werkstatt der Generationen in der Monte Balan: „Wir bereiten die Kinder intensiv vor. Nicht jeder weiß, wann und warum jemand ins Seniorenheim umzieht, wie das Leben dort abläuft.“ Fast die Hälfte der Senioren sitzt im Rollstuhl. Manche haben einen Urinbeutel. Mit all dem lernen die Kinder umzugehen. Auch mit dem Tod. „Wir besprechen alle Themen, fragen zum Beispiel, ob ein Kind schon ein Haustier oder vielleicht selbst einen Verwandten verloren hat.“ Tritt der Fall wirklich ein, haben die Projektkoordinatoren beim nächsten Treffen ein Bild des Verstorbenen dabei und alle verabschieden sich würdig. Einen leeren Platz oder ein Kind, das den Rest des Schuljahres alleine verbringen müsste, gibt es nicht. Entweder springt Inga Sauer (83) ein, die sich ehrenamtlich sowohl in St. Maria Ramersdorf als auch bei der Werkstatt der Generationen engagiert, oder ein anderer Heimbewohner rückt nach.

Hildamaria Stecher hat ein Lächeln im Gesicht, als Lotte auf sie zukommt. Beide freuen sich, dass sie sich sehen, fast die ganze Zeit über halten sich die beiden an der Hand. Beim Begrüßungslied oder beim gemeinsamen Kreativsein. Beim heutigen Programm, einer Zeichenübung, legt Stecher ihre Hand auf ein Blatt Papier, Lotte zeichnet die Umrisse nach und gemeinsam malen sie das Bild so aus, dass eine Tulpe entsteht. Vor dem ruhigen Teil haben alle mit einem Softball auf ein mobiles kleines Fußballtor gekickt. Auch das gehört dazu, gemeinsame Bewegung.

Der Besuch der Lapislazuli-Kinder, so heißt diese Gruppe in der Monte Balan, läuft immer mit einer festen Struktur ab, die die Generationsbrücke Deutschland vorgibt. Mit Spielen, Liedern, Trinkpause und einer ruhigen Beschäftigung. Das Programm ist eine Idee von Horst Krumbach. 2009 gründete er das Projekt in Aachen (siehe unten). Inzwischen läuft es deutschlandweit. In München gibt es bislang nur diese eine Kooperation. In ganz Deutschland sind es rund 500 Einrichtungen, die mitmachen. Seit fast zehn Jahren arbeiten die Monte Balan und St. Maria Ramersdorf zusammen. „Für den Besuch der Kinder lassen unsere Bewohner fast alles liegen und stehen. Auch diejenigen, die sich schwer aufraffen können, tun das für diesen Termin. Alle genießen das fröhliche Beisammensein“, erzählt Christine Donhauser (62), Pflegefachkraft und in St. Maria Ramersdorf zuständig für die Generationsbrücke.

Beim Malen bleibt Tino und Sepp Hohenleitner Zeit zum Reden. Der 87-Jährige erzählt dem Neunjährigen von seiner Zeit als Ski – und Fallschirmspringer, als er bei der Vierschanzentournee gestartet ist. Tino hört gespannt zu. Falls er Multimillionär werde, mache er das vielleicht auch mal, sagt der Bub. Der Schüler ist auch stolz, als sein Partner beim Fußball trifft. Jeder freut sich mit jedem. Echte Glücksmomente, die die Senioren erleben.

So wie auch Fin mit Maria Simbol. Sie ist mit 99 Jahren (heuer wird sie noch 100) die älteste Teilnehmerin. Ihr Partnerkind erinnert sie immer ein wenig an die eigene Kindheit. „Fin ist lebendig, er passt perfekt zu mir. Manchmal haben wir aber einfach nicht genug Zeit, um uns alles zu erzählen.“ Das findet der Neunjährige auch: „Ich lerne viel von ihr, sie weiß Sachen, von denen ich noch nie gehört habe.“

Die Einheit in St. Maria vergeht wie im Flug, die gute Stunde ist viel zu schnell vorbei. Bis zu zehn Mal pro Schuljahr kommen die Generationen zusammen, zum Abschied gibt es immer ein Mittagessen und die Kinder bringen kleine Geschenke für ihre Partner mit. Bei einigen bleibt der Kontakt bestehen, da kommt beispielsweise eine Postkarte aus dem Urlaub eines Kindes. Oder die Schüler besuchen gemeinsam mit dem Klassenchor das Haus und sehen dann manchmal ihre ehemaligen Partner wieder. Gerade in der Großstadt, in der die Großeltern vieler Kinder weit weg wohnen, hat die Generationsbrücke einen besonderen Stellenwert. Lotte: „Das ist ein bisschen, wie wenn ich meine Oma besuche. Und das ist einfach toll.“

Alle Namen haben sich die Kinder für diesen Artikel selbst ausgesucht und sind fiktiv.
DORIT CASPARY

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