Wenn die Pfingstferien Urlaubsträume auf der Lieblingsinsel erlauben, wird man von der Tristesse heimischer Politik nur noch in den Fernsehnachrichten ereilt. Das aber heftig. Die SPD steht nach dem schlimmsten Wahldesaster ihrer langen Geschichte und ihrem Absturz zu einer ganz kleinen Nummer hinter rechtsextremer Konkurrenz und ihrem verblüffenden Neustart, der trotz alledem in einem Bündnis der politischen Mitte mit unerwartet zukunftsfähiger Finanzpolitik gelang, schon wieder vor einer Zerreißprobe – weil ein eigener Mitgliederentscheid mit 80 Prozent Mehrheit keine bindende Weichenstellung gewesen sein soll, sondern nur eine Schnapsidee. Ein Koalitionsvertrag ist schließlich genauso irrelevant wie ein Mitgliederentscheid, wenn die Jusos anderer Meinung sind. Immerhin die Jusos, die schon mit ihrer NoGroko-Parole gegen den letzten Mitglieder-Entscheid das goldene Zeitalter der Ampel-Triumphe eingeläutet haben. Sie könnten sogar, wenn sie alle Nein-Stimmen des Mitglieder-Entscheids auf sich vereinen, drei Prozent der Bevölkerung repräsentieren! Ja, sie könnten durch Übereinstimmung mit der Putin-freundlichen AfD endlich auch an deren Aufbruchsstimmung teilhaben!
Oder geht es wirklich um das Friedens-Erbe der SPD? Dumm, wenn einem da persönliche Erinnerungen in die Quere kommen.
1972 durfte ich als Pressesprecher der Münchner SPD Willy Brandt für ein Interview in der Parteizeitung „Münchner Post“ ins Allgäu begleiten. Weil er spürte, dass ich ihm kritische Worte zum Westen entlocken wollte, betonte er mehrmals, dass die gesamte Entspannungspolitik mit den westlichen Verbündeten engstes abgestimmt war und jeder weitere Schritt im Einvernehmen erfolgen werde. Und dann sagte er noch, dass die Bundeswehr in seiner Amtszeit wachse und nicht schrumpfe.
Am 26. April 2004 konnte ich einen ganzen Tag lang mit dem früheren KPdSU-Generalsekretär Michael Gorbatschow diskutieren, weil der auf meine Einladung wichtige Mitstreiter bei Glasnost und Perestroika im Münchner Rathaus versammelt hatte. Ich fragte ihn nach dem NATO-Doppelbeschluss, gegen den ich einst auch demonstriert hatte. Er sagte, dass es ohne diesen Beschluss in Moskau nie gelungen wäre, den „militärisch-industriellen Komplex“ (er hat wirklich diesen Eisenhower-Begriff verwendet) zum Einlenken und zur Abrüstung zu zwingen. Das haben Helmut Schmidt und dann Helmut Kohl möglich gemacht! Die Friedensbewegung und Willy Brandt seien aber auch wichtig gewesen, um „den Russen die Kriegsangst zu nehmen“.
2011 wollte Helmut Schmidt mir näher auf den Zahn fühlen, bevor er mich im bevorstehenden Landtagswahlkampf unterstützte. Natürlich kamen wir auch auf den Doppelbeschluss zu sprechen. Ich erzählte von meinem Gespräch mit Gorbatschow. Der gefürchtete Welterklärer lobte, dass „Gorbie“ zwischen Fakten und Stimmungen unterschieden habe und fügte tadelnd hinzu, dass „Teile der SPD dazu wohl nie in der Lage sein werden“.
Ganz im Ernst: Man sollte nie die tatsächliche Zeitgeschichte mit eigenen Befindlichkeiten und Wunschvorstellungen verwechseln!