20 Jahre Schmerz und drängende Fragen

von Redaktion

Am Stachus gedenkt die Stadt Theodoros Boulgarides – er war das siebte Opfer des NSU

Theodoros Boulgarides war das siebte NSU-Opfer. © dpa

Sie rührten die Zuhörer zu Tränen: Lina (35, li.) und Mandy Boulgarides (38) bei der Gedenkfeier am Stachus. © Yannick Thedens

Es sind berührende Worte einer Angehörigen: „Sie haben die Mädchen in uns gebrochen. Aber sie brechen nicht die stolzen Frauen, die wir heute sind“, erklärt Mandy Boulgarides (38) gestern Mittag am Stachus. Dort fand das Gedenken zu Ehren ihres Vater Theodoros statt – er war das siebte Mordopfer des NSU. Terroristen hatten dem damals 41-Jährigen Mitte Juni 2005 mit drei Schüssen vor seinem Laden an der Trappentreustraße 4 hingerichtet.

„Vor genau 20 Jahren wurde unser Vater Opfer eines rassistischen Mordes“, sagt Mandy Boulgarides. „In der Familie kannten wir das Gefühl von Zugehörigkeit, von Sicherheit. Doch draußen wartete ein Albtraum. Einer, in den wir geworfen wurden, brutal und unvorbereitet.“ Bis heute leide die Familie. Unter dem Verlust – und der fehlerhaften Aufklärung. Fast sechs Jahre wurde auch gegen die Opfer-Familie ermittelt.

„Statt Schutz erhielten wir Verhöre, getrennt von unserer Mutter, obwohl meine Schwester damals erst 15 war“, kritisiert Tochter Mandy. „Keine psychologische Betreuung. Aber Fragen, ob unser Vater drogensüchtig war, Spielsucht hatte oder kriminell sei. Es wurde in alle Richtungen ermittelt, nur nicht in die richtige. Unser Vater wurde ermordet, und wir behandelt, als wären wir die Schuldigen.“

Auch Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) findet kritische Worte. „Als Bürger dieses Landes schäme ich mich dafür, wie mit der Familie Boulgarides und den anderen Familien und Freunden der Opfer durch die Sicherheitsbehörden umgegangen worden ist“, sagt er. „Als Politiker schäme ich mich dafür, dass die seitens der Politik versprochene Aufklärung leider so nicht stattgefunden hat und noch so viele Fragen ungeklärt sind. Und als Bürgermeister will ich mich entschuldigen für die damals ausgebliebene Solidarisierung und fehlende Empathie seitens unserer Stadtgesellschaft.“

Trotz des Schmerzes: Vater Theo lebe „in unserer Erinnerung weiter. Mit seinen Kindern, meiner Schwester und mir“, sagt Tochter Lina. „Und wir sind lebendig und haben klare Forderungen. Wir wollen nicht nur erinnern. Wir wollen, dass diese Gesellschaft sich verändert. Dass sie endlich die Wahrheit anerkennt.“

Die Töchter: Sie rührten die Zuschauer zu Tränen. Aber gaben sich auch kämpferisch. „Wir lassen uns nicht beruhigen, wir lassen uns nicht weiter vertrösten. Wir lassen nicht zu, dass unser Schmerz ungehört und ungesehen bleibt und wir wieder zum Schweigen gebracht werden“, betont Tochter Lina.ANDREAS THIEME

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