MÜNCHNER FREIHEIT

Olga Meerson und Thomas Mann

von Redaktion

Neulich wurde der 150. Geburtstag von Thomas Mann groß gefeiert. Mit Festakten von Lübeck bis Bad Tölz, mit Feuilletonseiten und Kulturbeiträgen in Funk und Fernsehen (seeehr klein) sowie naturgemäß mit Büchern über Büchern. Sie beschäftigen sich bis ins kleinste Detail mit dem Leben des Nobelpreisträgers. Liebe und Politik, Familie und Freunde, Wohnungseinrichtung und Kleidung, der Pazifik und der Eisweiher von Tölz, Hund und Landhaus wurden genauso vorgestellt wie die „Poschi“ in München-Bogenhausen oder die Besuche des Exilanten bei US-Präsident Roosevelt.

Da war ich schon ein bissl besorgt, dass so wenig selbst von Mann-Bestsellern wie den „Buddenbrooks“ oder den „Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull“ gesprochen wurde, ganz zu schweigen von Lese-Achttausendern wie „Doktor Faustus“ oder „Joseph und seine Brüder“. Allerdings darf ich mich gar nicht aufspielen, denn auch ich möchte von einem Mosaiksteinchen berichten, das zum schillernden Thomas-Mann-Bildnis gehört. Und seltsamerweise hängt es mit Malerei zusammen. Trotz des Fotos von einem erotischen Madonnen-Gemälde in der Erzählung „Gladius Dei“ (berühmtes Zitat: „München leuchtete.“) bringt man den hanseatischen Münchner gemeinhin ja eher mit Musik in Verbindung. Dennoch bin ich auf ihn im Murnauer Schlossmuseum gestoßen.

Das dortige Team um Sandra Uhrig und Robert Jütte hatte sich für die aktuelle Ausstellung (bis 9. November) auf die Spur der russischen Malerin Olga Meerson (1882–1930) begeben. Da von ihr gerade mal bekannt war, dass sie in München bei Wassily Kandinsky und in Paris bei Henri Matisse gelernt hatte, war enorm geduldige Detektivarbeit vonnöten, um mehr von ihrer Vita zu erfahren. Und die führte zur Familie Pringsheim. Damit sind wir bei den Schwiegerleuten von Thomas Mann.

In ihrem kunstsinnigen Haus am Königsplatz, das später die Nazis stahlen, trafen sich die Pringsheims mit dem Freundeskreis aus dem Bürgertum und mit jungen Künstlerinnen und Künstlern. Da war dieser Schriftsteller Thomas Mann, der bald der Tochter Katia den Hof machte, und da war diese Malerin Olga Meerson, die sich mit deren Mutter Hedwig anfreundete. So weit, so reibungsfrei. Als sich jedoch 1912 Sohn Heinz, der eine Karriere als Dirigent anstrebte, in Olga verliebte und sie heiratete, war’s aus. Es gab keine Freundschaft mehr zu Olga, und Heinz wurde enterbt.

Der Schriftsteller war ja ebenfalls ein Neigschmeckter aus Sicht von Hedwig und Alfred Pringsheim, freilich ein wohlgelittener, den man finanziell unterstützte. Mann wiederum, der Olga 1906 kennengelernt hatte, hielt ihr und Heinz die Treue. Es gab nicht nur Besuche und Austausch; von Olga stammt zum Beispiel „Tadzio“, der Name für den Jüngling aus „Tod in Venedig“. Thomas Mann machte sich 1914 sogar im Kriegsministerium für Olga Meerson stark: Sie wollte unbedingt ihren Mann an der Front besuchen, was eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit war. Mithilfe ihres Schwagers durfte sie schließlich an Weihnachten zu Heinz ins französische Maubeuge.

Im Gegensatz zu Katia und Thomas’ Ehe zerbrach die von Olga, der erfolgreichen Malerin, und Heinz, dem erfolgreichen Dirigenten. Sie wählte 1930 den Freitod. Beider Tochter Tamara konnte 1933 nach Großbritannien emigrieren. Mann blieb mit Familie im gleichen Jahr in der Schweiz und flüchtete weiter in die USA; die alten Pringsheims zögerten lange und konnten nur mit knapper Not dem NS-Morden entkommen.

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